20 Jahre IDEAS AidRating

Am 22. Juli 2014 wird der Verein IDEAS 20 Jahre alt. Anlass, einen Blick auf den Weg zu werfen, den wir mit IDEAS in dieser Zeit gegangen sind.

Gründung am 22. Juli 1994

In den frühen Neunzigerjahren setzt sich eine Gruppe von Personen zusammen, die in den vorangegangenen Jahren als sogenannte „Feldexperten“ vor Ort, also in „Entwicklungsländern“ gearbeitet und Erfahrungen gesammelt haben. Eine ernüchternde Erfahrung verbindet sie: Nicht die Zustände vor Ort und der sinnvollste Umgang mit ihnen spielen die wichtigste Rolle, sondern das Interessengemenge weit entfernter Bürokratien und ihres Umfeldes zuhause in der Schweiz.
Die Wirksamkeit vor Ort ist mangelhaft, Prioritäten sind zu oft falsch gesetzt, Korrekturen erfolgen spät oder nie.

Wir folgern daraus, dass es im „Geberland“ Schweiz an unabhängigen Stimmen fehlt, welche die Zusammenhänge durchschauen können und die Öffentlichkeit auf Mängel und mögliche Verbesserungen aufmerksam machen. Sozusagen als Zweitmeinung agierend, und dies aus einer grundsätzlich der Internationalen Kooperation wohlgesonnenen Haltung heraus.

So gründet die kleine Gruppe heimgekehrter Entwicklungsexperten um Jan Stiefel am 22. Juli 1994 in dessen Elternhaus, dem Hof in Wil SG, den Verein IDEAS[1]: Unabhängige Überprüfungen und Studien durch erfahrene Entwicklungsexperten sollen ein Gegengewicht bilden zum Informationsmonopol der damaligen DEH (jetzt DEZA), freier als die Hilfswerke, welche zu jenem Zeitpunkt einen Grossteil ihrer finanziellen Mittel von dieser beziehen und damit weitgehend von deren Wohlwollen abhängig geworden sind.

Es soll dadurch mehr Öffentlichkeit geschaffen und, gemäss Charta 1994
„ein Beitrag geleistet werden, Glaubwürdigkeit, Qualität und Wirkung der Entwicklungszusammenarbeit zu verbessern und zu steigern.“

1994 bis 1999: Optimistischer Aufbruch und Ernüchterung

Wir erarbeiten nun unsere Konzepte, werben Mitglieder und nehmen Kontakt auf mit Hilfswerken und vor allem der DEH. Wir haben namentlich ein Konzept entwickelt, mit dem teils in Kooperation, teils unabhängig eine externe Bewertung von Entwicklunsgprojekten auf ihre Wirksamkeit hin erfolgen soll, genannt „Audit“. Wir hoffen, damit zumindest auf ein gewisses Interesse zu stossen.

Bald wird klar: Bei der DEH will man sich nicht zu genau beobachten lassen. Bei den Hilfswerken ist das Misstrauen gross. Man will zwar wissen, was wir tun, nicht aber zulassen, dass wir Einblick erhalten in die inneren Mechanismen der eigenen Entwicklungsprojekte und darüber noch unzensierte eigene Beurteilungen öffentlich machen. Nur: Wie an die Berichte und Daten herankommen? Heute, 20 Jahre später, mag es unglaublich erscheinen: Damals wurde die Öffentlichkeit ausschliesslich mit werblich herausgeputzten Erfolgsmeldungen abgespeist. Echte öffentliche Berichterstattung, sprich Transparenz über die konkreten Tätigkeiten in der IZA[2], war ein Fremdwort.

Es gibt Gespräche, auch wird von der DEH vage eine Kooperation in Aussicht gestellt, in Form von Pilotprojekten. Zu konkreterem kommt es aber trotz verschiedener Anläufe nicht.

2000 bis 2007: Eigene Entwicklunsprojekte

Ausser gelegentlichen Zuwendungen gelingt es nicht, Partner für grössere Finanzierungen zu gewinnen. Wir arbeiten nach wie vor ohne Entschädigung. Mit den Erfahrungen der Vorjahre erweitern wir unser Betätigungsfeld und setzen nun auf das Erarbeiten eigener Hilfsprojekte und auf stärkeres Fundraising.

Im Januar 2000 bietet sich eine Gelegenheit: Ich werde von der DEZA angefragt, ob ich in einer Expertengruppe zur Identifizierung möglicher Hilfsprojekte im kriegsgeschädigten Kosovo mitwirken würde. Die Schweiz hat einen der grössten Flüchtlingsanteile aus dem Kosovo, man muss den Menschen wirtschaftliche Perspektiven bieten. Zu zweit, später zu dritt bereisen wir sämtliche Gebiete des Kosovo und inspizieren jede Fabrik. Die UNMIK hat eine grosse Menge Unterlagen zusammengestellt und stellt sie uns zur Verfügung.
Die Beurteilung zeigt aber: Die Fabriken sind völlig veraltet, die Landwirtschaft rückständig. Es wird schwierig werden, in der lange vernachlässigten Provinz nachhaltig für Einkommen zu sorgen. Auf meine Vorschläge hin entscheidet man sich, ein Projekt für Gemüse- und Obstbau zu konzipieren. Ich werde damit beauftragt und verbringe im Sommer 2000 einen weiteren Monat im Kosovo, zusammen mit einem Experten der Forschungsanstalt Wädenswil. Auch die Projektausschreibung der DEZA dazu darf ich danach vorbereiten, damals noch ein rares Ereignis.

 

Den Zuschlag für das Projekt erhält die Intercooperation. Mit den Missionen haben wir aber umfassende Kenntnisse der kosovarischen Wirtschaft erlangt. Gleichzeitig haben wir gesehen, dass es im Kosovo von Gebern wimmelt, ebenso von Hilfswerken, die mühelos Finanzierung für einfachste Aktionen erhalten. So wagen wir es, dort ab Ende 2000 ein eigenes Aussenbüro einzurichten. Standort: Gjakova. Ziel: Formulieren und Durchführen eigener Entwicklungsprojekte.

Tatsächlich können wir einige kleinere Aktionen im Bereich Landwirtschaft durchführen. Das grösste Projekt wird aber der Aufbau und Betrieb einer Fabrik für Kartoffelchips, die mit lokal produzierten Kartoffeln, lokal hergestelltem Sonnenblumenöl und lokaler Arbeitskraft die äusserst beliebten Kartoffelchips herstellt, welche sonst allesamt importiert werden.

Es gelingt, die Fabrik in Istog trotz zahlloser Hürden zum Laufen zu bringen. Sie wird Ende 2006 bei laufender Produktion an die Genossenschaften übergeben. Wir verlassen das Land und kehren in die Schweiz zurück. Für neue Projekte erachten wir die Verhältnisse vor Ort als zu ungünstig. Auch die Gebergemeinschaft ist über die Entwicklungen im Balkan ernüchtert und fährt ihr Engagement zurück.

Seit 2007: Das Konzept AidRating

1994 gab es das noch nicht: Das Internet. Inzwischen lassen sich mit ihm Inhalte von entlegensten Gebieten und Themen austauschen. Auch in Sachen Transparenz und Zugänglichkeit zu Informationen kündigte sich ein neues Zeitalter an. Von Beginn an nutzte IDEAS diese neuen Möglichkeiten. Seit 1998 hatten wir eine eigene Homepage.

Seit 2007 nutzen wir die erweiterten Fähigkeiten zu unserem neuesten Projekt: Dem Transparenzrating, unter dem Sammelnamen „Aidrating“. Noch in schlechter Erinnerung haben wir die Schwierigkeit der Neunziger Jahre, überhaupt etwas zu Projekttätigkeiten zu erfahren. Es schien nur Musterprojekte und Erfolge auf der ganzen Linie zu geben.

Jetzt aber, mit dem Internet, beginnt jede Agentur im Netz für sich Werbung zu machen. Man kann nun auf einen Blick sehen, worüber die Hilfswerke und die DEZA Auskunft geben, und ebenso bedeutsam: worüber nicht.

Schon zuvor hatten wir eine Methode entwickelt, Projektarbeit und Auswirkungen in einem umfassenden Raster zu erfassen und so Hinweise zu erlangen, bessere IZA-Projekte zu entwickeln. Eigentlich wäre sie die tiefergehende. Aber man kann nur über Projekte debattieren, von deren Existenz man weiss. Und man kann sich über „gute“ und „erfolglose“ Projekte nur dann ein Urteil bilden, wenn man Näheres dazu weiss, wie diese Projekte arbeiten.
Wir wissen schon lange: Transparenz über die Tätigkeiten ist Grundvoraussetzung für alles weitere. Es sollte ein Instrument geschaffen werden, das erlaubt, die Transparenz zu messen und die Hilfswerke durch eine jährliche Rangliste zu animieren, besser und vollständiger über ihre Feldarbeit zu berichten. Die Idee des Transparenzrating war geboren. In den folgenden Monaten wurde eine eigene Bewertungsmethodik entwickelt.

Ende 2008 war es soweit: IDEAS veröffentlichte die erste Transparenz-Rangliste der zehn grössten Schweizer Hilfswerke in der IZA. Die Betroffenen heulten auf. Die ZEWO[3], neue Konkurrenz in ihrer Domäne fürchtend, gab sich „empört“. Es sei unmöglich, die Transparenz zu messen, hiess es. Unsere Bewertung sei „willkürlich“. Man könne nicht „alle Projekte“ auflisten.
Wir blieben aber dabei: Man kann sehr wohl, wenn man will. Seit 2008 bringen wir jährlich die Rangliste unseres Transparenzratings heraus. Und heute, nach der fünften Rangliste, haben alle der grossen Hilfswerke in irgend einer Form eine Auflistung ihrer Projekte, und auch die Beschriebe sind wesentlich besser geworden. Inzwischen ist auch die DEZA dabei, allerdings mit eher kümmerlichem Transparenzausweis.

Auch die anfängliche Ablehnung durch die Etablierten der Branche ist etwas weniger schroff geworden. Niemand behauptet mehr, unsere Methodik tauge nichts. Man liebt uns nicht, aber man redet immerhin mit uns. Einzelne suchen die Flucht nach vorn, indem sie eigene Transparenz- und „Evaluationsleistungen“ anpreisen. Aber der Ruf nach Transparenz wird stärker, auch auf internationalem Parkett. Seit 2010 tritt eine britische Gruppierung namens „Publish what you Fund“ (PWYF) auf, welche die Transparenz von über 50 Geberländern und ihrer Organisationen bewertet. Wir arbeiten mit ihnen zusammen. Die Schweiz hat seit Beginn einen der hinteren Plätze inne: www.publishwhatyoufund.org. Geber beginnen, sich auf gemeinsame Standards für die zeitgerechte und umfassende Berichterstattung zu einigen und dieselbe einzuführen: Federführend ist die „International Aid Transparency Initiative“ IATI, zu der wir ebenfalls Kontakt halten: www.aidtransparency.net.

Bei IDEAS AidRating beobachten wir, wie nach und nach Forderungen, die wir schon vor 20 Jahren stellten, weltweit zu Allgemeingut werden. Hier in der Schweiz aber sind die Widerstände noch gross. Die Branche zeigt Trägheit. Man will möglichst alles lassen, wie es ist. Das DEZA-Budget steigt ja mit schöner Regelmässigkeit. Das Interesse in der Öffentlichkeit ist zwar da, aber die Qualität des entwicklungspolitischen Diskurses ist noch fast dieselbe wie vor 20 Jahren. Bei Politik und Medien gibt es wenig Anzeichen, das eigene ideologische Brett vor dem Kopf endlich abzuwerfen- man ist entweder kritiklos „dafür“ oder pauschal „dagegen“. Immer noch ist kaum Platz für Zwischentöne. Finanziell lebt IDEAS nach wie vor auf bescheidenem Fuss.

Und der Ausblick?

Hat IZA eine Zukunft, im Zeitalter der von wirtschaftlichen Interessen angetriebenen Globalisierung, des Internets, der zunehmenden Nivellierung aller Lebensbereiche, wo man überall auf der Welt den gleichen Energy-Drink in der Hand hält, das selbe fade Fertiggericht kaut und dieselben Nachrichten hört und sieht?

Wir denken ja. Zwar beobachten wir gerade in der Entwicklungsbranche einen Boom neuer Bürokratien und sekundär angesiedelter Dienste, die ihrerseits Dienste für Dienstleister anbieten, etwa beim Organisieren der überall stattfindenden Konferenzen und Meta-Konferenzen. Aber dennoch: Die Aufgabe, wenn auch etwas aus dem Fokus geraten, ist und bleibt eine Menschheitsaufgabe: Eine Weltgesellschaft, die nicht das Möglichste unternimmt, allen eine Chance auf ein menschenwürdiges Auskommen zu bieten, verdient nicht, entwickelt genannt zu werden.

Und noch etwas: Wer sich über die Bilder der Bootsflüchtlinge im Mittelmeer aufregt, muss sich bewusst sein, dass Entwicklungshilfe, richtig geleistet, gerade hier einen Beitrag leisten könnte, dass diese Menschen ihr Weiterkommen nicht im reichen und satten Norden suchen müssten, sondern ihre realen Chancen dort finden könnten, wo sie und ihre Familien ihren Ursprung haben. Und daran, dort diese Arbeit richtig und rücksichtsvoll zu machen, haben wir noch immer grossen Lernbedarf.

Wir bleiben dran.

IDEAS AidRating

E.P.

J.S.


[1] aus dem Englischen „Independent Development Experts Association“

[2] Internationale Zusammenarbeit.

[3] Zentralstelle für Wohlfahrtsunternehmungen

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