KVI: Weltverbesserung per Strafbefehl

Ein Kommentar zur Unternehmensverantwortungs-Initiative

Sarah Palin, nicht eben für komplexe Denk­ansätze bekannte einstige US-Vizepräsidenten-Kandidatin, wurde einmal gefragt, was sie denn über Russland wisse. Sie soll geantwortet haben: Man sehe dessen Küste von Alaska aus, also kenne sie es.

Ähnlich einfaches Denken scheint der aktuellen Unternehmensverantwortungs-Initiative zugrundezuliegen: Man meint, aus der satten Schweiz heraus Zusammenhänge in weit entfernten Ländern gut genug zu verstehen, um zu tun, was man in der Schweiz gerne tut: darüber zu richten. Kein Wunder, geht in der heftigen Debatte vieles unter. Als Beispiele folgende sonst wenig angesprochene Punkte und ein allgemeiner Gedanke:

Zum ersten: Der Initiative fehlt es an logischer Stringenz. Wenn man sich damit vielleicht abfinden muss, dass Misstände in der Ferne vor Schweizer Gerichten verhandelt werden sollen: Warum sollen dann nur gerade (bestimmte) Privatunternehmen in die Pflicht genommen werden, und nicht gleich alle juristischen Personen, die im Ausland tätig sind und in ihrer dortigen Tätigkeit auf vielfältige, oft kaum verstandene Weise Auswirkungen auf Menschenrechte und Umwelt haben, inklusive sogenannt „potentielle“?
Wenn schon, dann wären beispielsweise auch solche der Bau- Reise- oder Tourismusbranche, oder gar Entwicklungsorganisationen mit ihren oft umfangreichen Projekten gerade in besonders armen Ländern einzubeziehen. Fast scheint es, die federführenden Hilfswerke hätten eine Gelegenheit verpasst, auf die sie eigentlich erpicht sein müssten: Nämlich die eigene Sorgfalt und die positiven Auswirkungen ihres Tuns nun nach Verfassungsvorgaben ins rechte Licht rücken zu dürfen. Wie gesagt wurde: Wer anständig wirtschaftet, hat nichts zu befürchten.
Kurz: Ein umfassender Einbezug nicht nur der „üblichen Verdächtigen“, sondern aller betroffenen Kreise wäre konsequent. Fraglich wäre allerdings, ob dann noch viel Zustimmung übrig bliebe.

Zum Zweiten: Kaum je Debattenthema war, dass in jedem Fall „sämtliche Geschäftsbeziehungen“ einer „angemessenen Sorgfaltspflicht“ im Sinn der Initiative zu unterziehen sind. Zu solchen gehören viele Importketten des breiten täglichen Bedarfes. Nur einige mögen beispielhaft genannt sein, um die Problematik anzudeuten, die nach der Annahme der Initiative dann gelöst werden müsste: Wären dann etwa die Tausende km2 Urwald, die für Weiden oder Futtermittel zur Befriedigung unseres Fleischbedarfs oder für Ölpalmenplantagen abgefackelt werden samt Vertreibungen von Indigenen und Kleinbauern usw. gemäss Initiativtext als „geringe Risiken“ einzustufen? Ebensolches gilt für Rohstoffe, von denen es neben den stets erwähnten Seltenen Erden viele gibt: Edelhölzer, Textilien, cash crops wie eine ganze Reihe von mehr oder weniger exotischen Gemüsen und Früchten, durch deren Export Landwirtschaftsflächen in den Ursprungsländern knapp und Preise für die lokale Bevölkerung ins Unbezahlbare gesteigert werden. Wie steht es um die Hochsee-Überfischung, wie um die zahllosen Fisch- und Garnelenzuchten, die weltweit daran sind, Oekosysteme wie etwa Mangrovenwälder zu verdrängen?

Alles harmlos, oder hat einfach keiner daran gedacht? Hand aufs Herz: Es wären nicht nur ein paar «Konzerne» betroffen. Wenn konsequent umgesetzt, hätte das mächtig Auswirkungen auch auf Geldbeutel und gewohnten Konsum jedes einzelnen von uns hier in der Schweiz! Um im Bild zu bleiben: Man stelle sich etwa die jeweiligen „Sorgfaltsprüfungen“ allein etwa von Grossimporteuren wie Coop oder Migros vor, die gemäss Initiative eigentlich fällig wären..

Zuletzt ein persönlicher Gedanke: In einer Verfassung erwarte ich Aussagen, welche die wichtigsten Grundregeln eines Themas oder einer Problematik in ausreichend allgemeiner und damit allgemeingültiger Weise ausdrücken, um nicht nur im politischen Tagesgeschäft, sondern auch noch in Jahrzehnten nach uns Bestand zu haben. So ist unsere Verfassung in weiten Teilen gehalten. Dieser Text aber reiht sich ein in Einschübe aus den letzten Jahren, deren Herkunft aus der Tagespolitik nur zu sehr daran erkennbar ist, dass Wünsche oder Vorbehalte einzelner politischer Akteure eher am Rand des politischen Spektrums deutlich im Vordergrund stehen. Zu diesen gehören namentlich die auf Ausländer zielenden Ausschaffungs- und Begrenzungsartikel samt Durchsetzungsversuch (Verfassung Art. 121 und 121a). Sie kamen bisher von rechts. Nun scheint man anderswo auf den Geschmack gekommen zu sein, dem einen weiteren, ebenfalls partikularem Zeitgeist und der Suche nach Sündenböcken verpflichteten Fremdkörper folgen zu lassen.

Respekt für Menschenrechte und Umwelt ist ehrbar. Die Initiative jedoch erzeugt mehr Fragen und Unsicherheiten als sie zu lösen verspricht. Der Initiativtext wirkt pharisäerhaft, denn er stellt selektiv unter Verdacht und belegt gerade in seiner Länge und in seinen ungelenken Definitionsversuchen eines: Er ist nicht gut durchdacht und damit nicht würdig, Teil der Verfassung zu werden.

Jan Stiefel, 16. Nov 2020

Stellungnahme IDEAS zur Vernehmlassung Schweizer Entwicklungszusammenarbeit 2021-2024

Stellungnahme IDEAS AidRating

Zürich, den 23. August 2019

Kontaktperson: Elvira Prohaska, Jan Stiefel;  +41 52 203 52 50

Vorbemerkung

Mit dieser Stellungnahme soll im Rahmen der Möglichkeiten unseres Vereins auf jene Punkte eingegangen werden, die wir für die wichtigsten halten. Da wir es für nötig halten, weit über die Vernehmlassungsthemen hinausgehend die ganze IZA- Branche transparenter und effizienter zu strukturieren, ist im zweiten Teil unter „Weiterführende Anmerkungen“ ein mögliches Konzept zur Verwirklichung skizziert.

Auch wenn eine oder mehrere der in der Vernehmlassung beschriebenen Prioritäten oder Massnahmen plausibel und vielversprechend klingen, so muss doch gewarnt werden: Vieles davon klingt reichlich papieren und wie geschrieben von Theoretikern an ihren Schreibtischen, die sich die Auswirkungen ihrer Forderungskataloge in der Realität kaum vorstellen können. Es sind nicht Sandkastenspiele, um die es geht, sondern Menschen. Brüske und bisherige Arbeit plötzlich abbrechende Veränderungen bringen das Risiko, dass eines Tages, wenn sich andere oder vielleicht doch die vorherigen Ansätze als besser erweisen, diese zerstört sind oder dass zumindest nicht ohne grosse Verluste darauf zurückgekommen werden kann.

Fragestellungen im Begleitschreiben

Die folgenden Bemerkungen nehmen in Kurzform Bezug auf die konkreten Fragestellungen im Begleitschreiben vom 2. Mai 2019:

Es sind grundsätzliche Vorbemerkungen, die angesichts der bürokratischen Sprache im erläuternden Text nötig sein könnten. Sie beziehen sich vor allem auf die bilaterale Zusammenarbeit, können aber wegen der gegenseitigen Überlappung auch bei humanitärer Hilfe eine Rolle spielen:

  • Ohne vertiefte Kenntnis der Problemlage in allg. Umfeld und spezifisch vor Ort kann keine sinnvolle Intervention geplant werden. Rechtslage, Akteure, Rechtssicherheit, Akzeptanz, Nebenwirkungen usw. Das betrifft auch Fragen von Flexibilität wenn sich zeigt, dass Ziele oder Methoden nicht angepasst oder wirksam sind.
  • Rein technische oder ökonomistische Ansätze bewirken selten das Geplante, haben aber oft schädliche Nebenwirkungen.
  • Nicht glauben, „mehr“ sei besser. Projekte und Programme können durch zu viele „Mittel“ (Geld, Ausrüstung) auf vielerlei Weise schaden. Sie können namentlich lokale Ansätze, die vielleicht wenig sichtbar sind, verdrängen, oder auch Bemühungen, Dinge mit eigener Kraft aber vielleicht aus unserer Sicht „primitiveren Mitteln“ „totentwickeln“.
  • Bei der Problemanalyse und Prioritätensetzung spielt hier wie „dort“ die Interessenlage derer, die daran beteiligt sind, eine sehr grosse Rolle: Ökonomen wollen „wirtschaftsfördernde“ Investitionen, Professoren wollen Doktoranden, andere wollen die „Umwelt besser schützen“, Ingenieure wollen Maschinen, Strassen und Röhren, usw. Priorität hat stets das, was man selber „kann“ und wofür man daher auch am ehesten Chancen hat, Gelder gesprochen zu bekommen. (s. Beispiel Rendezvous Radio SRF vom 22.8.19).
  • Jeder Abschnitt ist mit einer kurzen Einschätzung dazu versehen, wie die Zielsetzung den Schweizer Interessen und denen der Bevölkerung vor Ort entspricht. Gering- mittel- hoch- sehr hoch

Frage 1 Entsprechung der Ziele mit den Bedürfnissen etc.

Bezug Arbeitsplätze:

Es ist nichts dagegen zu sagen, dass mehr Arbeitsplätze wichtig sind, wenn es an solchen fehlt. Man kann aber nicht hingehen und sagen: Geht hin und schafft Arbeitsplätze! Wir sähen gerne jene, die so etwas auch verwirklichen können. Dass in der verbeamteten Schweizer Entwicklungsszene jemand das kann, ist für uns am allerwenigsten vorstellbar.

„Arbeitsplätze schaffen“ ist ein Endergebnis aus unzähligen Vorbedingungen: Ausreichende Rechtssicherheit, Vorhandensein der richtigen Vorprodukte zur richtigen Zeit (da fängt’s schon an), Leute mit den richtigen Kompetenzen (ausbilden), Absatzwege mit ausreichend Attraktivität auf lange Sicht (Partner, Handels- und Gewerbefreiheit), Wachstumsmöglichkeiten, Unternehmergeist (keine Kernkompetenz der Schweizer IZA, wie wir sie kennen).. auch Kapital und Produktionsmittel. Die letzteren zwei kann man vielleicht mit Geld rasch beschaffen, alles andere sind Projekte für sich allein.

Das heisst: Es braucht alle möglichen Fähigkeiten und Teilprojekte, die zusammen dann eines Tages vielleicht zum Erfolg führen. Wir haben selber so etwas im Kosovo versucht und können ein Lied davon singen. Die jetzige Schweizer IZA könnte allenfalls Geld, Produktionsmittel und vielleicht Ausbildungsinstitutionen beisteuern, womöglich etwas im Bereich Rechtssicherheit.

Für alles andere liegen die Kompetenzen fast ausschliesslich im „Privatsektor“, sprich: Bei unternehmerisch denkenden Leuten. Man kann solche vielleicht finden, sollte sich aber hüten, ihnen eine Menge theoretische Wunschträume aufzudrängen, denen sie zu genügen haben. Sonst sind sie bald wieder weg. Träume etwa von „Fokus auf Jungunternehmer“ und „Startups“, von „innovativen Finanzierungsinstrumenten“ oder davon, früh beurteilen zu können, welche Unternehmen „erfolgversprechend“ seien, wecken Zweifel, ob die Schreibenden wussten, wovon sie reden.

Entsprechung mit Interessen:

-der Bevölkerung: hoch

-der Schweiz: hoch

Bezug Klimawandel:

Am sinnvollsten und dringlichsten dürfte sein, dass geholfen wird, die Folgen des Klimawandels besser abzufedern bzw zu ertragen. Das betrifft wohl v.a. Land- und Forstwirschaft, dann auch Ressourcenpflege (Schutz für Vegetation, Wälder, Küsten, Binnengewässer.. etc). Allenfalls auch Schutz vor Gewässer- und Luftverschmutzung durch klima- und ressourcenschädliche Aktivitäten.

Der Alltagsnutzen für die Bevölkerung vor Ort sollte der Fokus sein. Auf keinen Fall sollten IZA-Ressourcen dazu missbraucht werden, die Schweizer CO2-Bilanz durch angebliche „Umweltprojekte“ in diesem Gebiet (z.B. Brennstoffe u.ä.) aufzupolieren.

Also weg von Projekten, wo Menschen quantitativ unbedeutendes CO2-Sparen beigebracht wird, während ihre grösseren Sorgen unbeachtet bleiben. Von anderen vielversprechenden Ansätzen ist im Vernehmlassungspapier nichts zu sehen, man wüsste gern, wofür genau die 350 Mio fliessen sollen, und für was für „klimaverträgliche Investitionen“ und wie da mehr „private Gelder mobilisiert“ werden sollen.

Das Gros der Massnahmen sollte da stattfinden, wo die grössten Verursacher sitzen, und das ist meist bei uns in Industrieländern und bei von uns verantworteten Wirtschaftstätigkeiten. Hier sollte auch das Gros der Schweizer Investitionen erfolgen. Und dies ganz ohne Missbrauch von IZA-Geldern dafür.

Entsprechung mit Interessen:

-der Bevölkerung: gering (ausser Resilienzhilfen, dort hoch)

-der Schweiz: hoch (wegen polit. Widerständen geg Massnahmen bei uns)

 

Bezug „Grundversorgung“ und Migration:

Migration liesse sich am ehesten vermindern, wenn der Sog vermindert würde, der durch Attraktivität eines Lebens in Industrieländern entsteht, und wenn den Menschen etwas „gegeben“ wird, das bei ihnen Selbstbewusstein und das Vertrauen in eine selbstbestimmte Zukunft in ihrem eigenen Umfeld/Land belebt.
Der Sog hat viele Ursachen. Mehr Arbeitsplätze vor Ort sind möglicherweise eines, aber nicht das einzige denkbare Mittel dagegen. Lebensqualität und Perspektiven für die Menschen jeden Alters wären hier die Hauptelemente, die wiederum in alle anderen Ziele mit hineinspielen (und auch über die eng wirkende Sichtweise, die sich hinter diesem Ziel verbirgt, hinausgehen.) Da etwas zustande zu kriegen, wäre der Mühe wert.

Es braucht aber nicht rundweg als „egoistisch“ abgetan zu werden, wenn Minderung der „wirtschaftlich bedingten“ Migration hier als Teilziel angestrebt wird. Das Problem beschäftigt viele Menschen hierzulande. Anstatt Millionen jährlich in die Branche „Sensibilisierung“ zu stecken, hätte man hier Gelegenheit, die Akzeptanz für mehr IZA hierzulande erheblich zu steigern: Durch glaubwürdiges Aufzeigen von Erfolgen in diesem Gebiet durch gut geplante, partizipative, flexible, nachhaltige Projekte und Programme. Die Schweizer Entwicklungsbranche müsste allerdings zeigen, dass sie dazu fähig ist.

Entsprechung mit Interessen:

-der Bevölkerung: hoch

-der Schweiz: hoch

 

Bezug Rechtsstaat:

Rechtsstaatlichkeit und Rechtssicherheit sind eine der wichtigsten Voraussetzungen, dass Menschen es als lohnend betrachten, sich vor Ort eine Zukunft aufzubauen. Da wäre in der Tat wohl viel Kompetenz in der Schweiz vorhanden, von Gemeinde- bis Bundesebene. Der Bezug scheint uns unterstützenswert.

Dies wäre wesentlich eine Aufgabe für staatliche Schweizer Stellen: Mit oft unwilligen Entscheidungsträgern muss über Jahre Tacheles geredet werden, samt möglichen Massnahmen u Konsequenzen. Der Diplomatenstatus der Koordinatoren und auch der diplomaten-ähnliche vieler Expats bringt dabei gewissen Schutz. Dies wäre durch die Beamtenschaft beim Bund besser und mutiger abzudecken. Forschungseinrichtungen und Thinktanks könnten beim Entwickeln von Konzepten und bei entsprechenden Bildungstätigkeiten wichtig sein.

Entsprechung mit Interessen:

-der Bevölkerung: sehr hoch

-der Schweiz: sehr hoch

Weiteres:

Privatsektor-Zusammenarbeit:

Es ist richtig, dass der „Privatsektor“ der wichtigste Motor wirtschaftlicher Entwicklung ist, namentlich wenn ausreichend Rechtssicherheit und Infrastruktur bestehen. Dazu gehören Einzelpersonen bis hin zu Grossunternehmen. Es mag auch gut sein, wenn hier Investitionshilfen und Risikogarantien vergeben werden sollen.

Die Bundesstellen sollten sich ausser bei grundlegenden Anforderungen mit Versuchen zu Regulierung und Lenkung jedoch möglichst zurückhalten, denn das dürfte eines der wichtigsten Hindernisse sein, die Unternehmer von einer „Zusammenarbeit“ mit Bundesämter abhält. Das wichtigste aber wäre, und das wäre für alle beteiligten Bundesämter ebenso wie die Politik, dafür zu sorgen

  1. Dass Produzenten in den Zielländern möglichst ungehinderten Zugang für ihre Produkte und Leistungen zum Schweizer Markt bekommen
  2. Dass allenfalls nicht erkannte aber unnötige Handelshemmnisse möglichst identifiziert und abgebaut werden
  3. Dass Engpässe bei Kompetenzen für bessere Prozesse, bessere Qualität usw angegangen werden, sowohl technisch als auch beim Bereitstellen von angepassten beruflichen Bildungsmöglichkeiten, inkl. Austausch mit der Schweiz.

Dies bedeutet auch, dass die Arbeit nicht nur in den EL, sondern auch in der Schweiz zu leisten ist.

Entsprechung mit Interessen:

-der Bevölkerung: hoch

-der Schweiz: hoch; braucht jedoch politische Überzeugungsarbeit

Frage 2 Entsprechung der Schwerpunkte mit den Bedürfnissen etc.

Wir haben die Frage nach Schwerpunktsetzung als weitgehend analog mit der zu den „Zielen“ interpretiert und möchten unsere Aussagen als auch auf diese bezogen verstanden wissen.

Frage 3 Vorgeschlagene geografische Fokussierung etc.

Wir bezweifeln, dass es in der OECD-Beurteilung um die „geografische“ Verzettelung ging, als dieser Punkt angemahnt wurde. Wenn man die Listen der Aufträge und „Beiträge“ der letzten Jahre sieht, kann man ebensogut von inhaltlicher Verzettelung sprechen. Geld wird für eine Menge Dinge ausgegeben: Veranstaltungen, Institutionen, deren Arbeit direkt kaum, aber vielleicht irgendwann etwas Positives bewirken könnte; Filme, Theater, sogar die Städtepartnerschaft Zürich-Kunming scheint hier wichtigen Bedarf zu haben. Man kann sich da einiges an Straffung vorstellen.

Oder ist die OECD „konsequent“ und empfiehlt allen Gebern nur noch IZA in Ländern, bei denen man aktuell oder künftig eigene Interessen sieht, wie in Asien oder Afrika (ohne Madagaskar)? Kaum vorstellbar. Weiter: Wie kommen wir dazu, auf Grundlage einer derzeitigen Krisenlage zu wissen, was in den kommenden Jahren an neuen grossen Herausforderungen auf uns zukommt? Woher wissen wir, welche Länder in 10 oder 20 Jahren am Abgrund stehen, und wie sich das auf uns auswirken kann (denn darum geht es hier ja)? Wie werden sich die Menschen in den Ländern fühlen, wenn sie erfahren, dass sie hier „zweite Wahl“ geworden sind? Und wie wollen wir dann schnell reagieren können, wenn etwas dringlich wird, unser Staat aber die Brücken zu einer ganzen Weltregion abgerissen hat? Mit anderen Worten: Wir sollten uns hüten, zur Beschwichtigung kurzfristiger Aufregungen bei uns in gewissen Weltregionen mit mehr IZA-Geld klotzen, und andere beiseiteschieben zu wollen.

Wir haben schon in früheren Jahren den Eindruck gewonnen, dass die DEZA oft Länder mit IZA bedienen, dennen es vergleichsweise gut geht, und andere nicht, bei denen es schlechter steht.

Auch in der geplanten Verteilung (Erläuternder Bericht S 15, 23) scheinen Länder mit schlechterer Lage für die Menschen, z.B. Madagaskar, in LA Haiti, Bolivien herauszufallen, während vergleichsweise bessergestellte dabei sind: Südafrika, Ghana, auch Indonesien, Vietnam. Dies betrifft vom SECO betreute Länder. Es mag Gründe dafür geben, aber diese erscheinen im vorliegenden Papier nicht wirklich verständlich gemacht.

Es gibt noch etwas anderes: Den hartnäckigen Glauben, dass mehr Geld zu besserer oder mehr Entwicklung führen könne, haben wir noch nie verwirklicht gesehen. Vielmehr haben wir Länder gesehen, gerade in Afrika, in denen sich Geber darum stritten, wer welches Projekt durchführen oder Vorhaben fiinanzieren darf, oft mit der Folge, dass das Gegenüber gern den „Preis“ hochschraubte, sehr zum eigenen persönlichen Vorteil.

Weiterführende Anmerkungen

Von unserer Seite wird seit längerem angemerkt, dass die Schweizer IZA zuwenig ergebnisorientiert, zusehr von Klientelwirtschaft geprägt, und zuwenig transparent ist. Auch die monierte „Verzettelung“ sehen wir weniger im geografischen Sinn als darin, dass die zuständigen Behörden zuviele Gelder abdelegieren für eine Unmenge von Tätigkeiten und Werke, deren Nutzen sowohl nach Empfängern als auch im Sinn der IZA-gesetzlichen Ziele mehr als fraglich sind. Es sieht aus, als gäbe es zuwenig eigene Fähigkeit, gute Projekte zu konzipieren und diese zu betreuen.

Den Kern der Problematik sehen wir darin, dass in der Verordnung zum Gesetz die Zuständigkeit simplistisch an eine oder zwei Bundesstellen ausgelagert wurden, deren ausgeufertes Streben nach immer umfassenderen Kompetenzen durch kein wirksames Gegengewicht in Form von brauchbaren Kontroll- und Überwachungsmechanismen im Zaum gehalten wird. Es hat sich ein breiter Speckgürtel von Personen und Institutionen herausgebildet, in dem man sich daran gewöhnt hat, einen grossen Teil der verfügbaren Finanzen bequem zu absorbieren. Damit und neben der obligaten Rolle als Apologeten des Status quo hat man versäumt, international konkurrenzfähig zu bleiben- was sich am geringen Anteil von Aufträgen ausländischer Stellen an Schweizer NGOs gegenüber dem wachsenden Anteil der Auf- und Beiträge an ausländische NGOs und Entitäten mit Bundesgeldern ablesen lässt.

2016 wurden 16% aller Aufträge in EU-Länder oder nach Nordamerika vergeben. Im Sinn einer „Fokussierung“ könnte man versuchen, auch die Konkurrenzfähigkeit von Schweizer Bietern mehr zu pflegen, damit dieser Anteil nicht weiter wächst:

Grafik 1: Auftragsvergaben DEZA IZA inkl humanitäre Hilfe 2016:

 

Wir meinen: Der Blick und besonders der Zirkel der bekannten Akteure sollte geweitet werden für viele mehr, die ihren Beitrag am Gelingen der Schweizer IZA leisten möchten. Dazu gehört nicht, ausgewählte Gross-NGOs weiter zu bevorzugen, sondern die Kompetenzen von Schweizer Anbietern zu pflegen durch equitablen Zugang. Zur im Bericht genannten „Pluralität“ gehörte dann auch, dass auch solche Organisationen beteiligt sind, die mit anderen oder kritischen Haltungen als denen der über die Jahre gepflegten Hauptakteure, die Umsetzung der IZA- Ziele die Menschen voranbringen wollen.

Neuorganisation der Zuständigkeiten

Die trübe Sachlage könnte durch Neuorganisation auf Basis einer revidierten Verordnung bereinigt werden, dies zudem vielleicht ohne übermässige politische Querelen, da in eigener bundesrätlicher Kompetenz.

Mit dem vorgeschlagenen Einladungs-Wesen kann der Druck vermindert werden, aufwendige Pflichtenhefte für ebenso aufwendige Ausschreibungen zu veranstalten. Auch „Unter-der-Hand-Aufträge“ und ebensolche „Beiträge“, bei denen man sich solchen Aufwand spart, könnten vermieden werden. Ein paar Grundprinzipien und als Beispiel ein mögliches Konzept der Verwirklichung werden hier kurz skizziert:

Grundprinzipien:

  • Basis IZA-Gesetz, von Schweiz anerkannte int. Entwicklungsziele und int. anerkannte Normen für Arbeitsweise und Rechnungslegung
  • Gleichwertiger und breiter Zugang für alle Akteure mit ausreichenden Kompetenzen (wie unten beschrieben) in Datenbank
  • Schwergewicht auf „Projektvorschlägen“ und nicht auf „Ausschreibungen“ oder „Beiträgen“.
  • Gleichbehandlung durch periodische strukturierte Auslosungsverfahren
  • Normierte Bewertung: Erlangtes Ergebnis in Bezug auf verwendetes Budget: Bestanden ja/nein
  • Minimale Bürokratie, u.a. durch standardisierte Verfahren, z.B. Teilnahme- und Bewerbungskriterien für Projektanträge, Einbezug der Fähigkeiten der Bieter

Teilnahmeberechtigte Akteure:

  1. Einzelperson als „Experte/Expertin“..
  2. In der Schweiz im HR eingetragene NGOs und Firmen..
  3. Im betreffenden Zielland im HR oder gleichwertig eingetragene NGO oder Firma, vertreten durch Schweizer Einzelperson (Experten) oder NGO..

.. welche einem einfach gehaltenen Katalog von Mindestanforderungen zu Einstieg genügen und dadurch zugelassen sind: Ausbildung, Leumund, Erfahrungen.

Zugelassene Akteure werden in eine Liste (Datenbank) für die ihren Kompetenzen entsprechende Kategorie aufgenommen. Diese Liste wird mindestens einmal jährlich, eher öfter, aktualisiert (Ausscheiden, Neuzulassung, Kategoriewechsel).

Elemente:

1.    Plenum

Das „Plenum“ ist eine mind 1x jährliche Zusammenkunft aller zugelassenen Akteure. Bei dieser Zusammenkunft werden Erfahrungen ausgetauscht, die jeweiligen Listen von Mutationen verabschiedet und sonstige im Ablauf notwendige Entscheide per Mehrheitsentscheid getroffen. Das Plenum wählt alle 2 Jahre die zu erneuernden Mitglieder des Gremiums.

2.     „Expertenrat“ oder „Gremium“

Das „Gremium“ besteht aus 10 Mitgliedern. Mitglieder müssen in Ausbildung und Kompetenzen mindestens der Kategorie A entsprechen. Das Gremium

  • Entscheidet über Kategorie-Einstufung der Akteure, auf Grundlage Empfehlung durch „Sekretariat“
  • Entscheidet über Zulassung zu Verlosungsverfahren
  • Entscheidet über Bewertung der Ergebnisse bei Abschluss
  • Kann spezifische Ausschreibungen in Auftrag geben (auch Evaluationen)
  • Verfügt über ein Sekretariat
  • Amtsdauer: 4 Jahre. Maximal 2 Amtsdauern
  • Präsidium: Wahl durch Gremium; Amtsdauer 2J. Stichentscheid
  • Teilwahlen alle 2 Jahre: 5 Mitgl. Zeitpunkt Parl. Wahlen, 5 zu Midterm Periode Budgetbeschluss

Überblick „Gremium“:

Mitglieder Wahl
2 Vertreter/innen Bundesämter Ernennung Bundesrat
2 Vertr. Hochschulen Hochschulen/ Bundesrat?
2 Vertr. grosse Hilfswerke Konsensvorschläge HW, Wahl Plenum
2 Vertr. kleine Hilfswerke Konsensvorschläge kleine HW, Wahl
2 Vertr. Privatwirtschaft/ Zivilgesellschaft Kandidaturen frei; öffentlich, Wahl Plenum
Sekretariat: DEZA-SECO-Abteilung
Protokolle und Berichte öffentlich zugänglich (Dokumentationsstelle, Homepage)
Anforderung und Aufgaben Akteure bei Ausführung
Aufgabenbereiche Anforderungen an Ausführende Zugelassen zu: Kriterien
Bearb. technische Teilthemen, Junior-Mitwirkung in Missionsteams (Evaluationen, tech. Beratung, Planungen usw); Umfang max 50‘000.- „C“:  in Datenbank registriert auf Basis v. professionellem Grundprofil Datenbank-Lotterie „C“ Grundprofil in Datenbank;

Kompetenzen für jeweilige Aufgabe vorhanden

Single Expert oder Team Leader an Missionen, Teilaufgaben an Projekten, Bearb. Teilthemen: max  Fr 230‘000.-; Dauer max 1 J „B“: „C“ plus regionales/prof. Profil mind. 3 „erfolgreiche“ Missionen oder mind 2 J Felderfahrung Datenbank-Lotterie „B“ Sachorientiert erfolgreiche Kooperation; Wirkung
Projekte vor Ort mit konkreten Zielen im Sinn von Prioritätsbereich gemäss Gesetz; Dauer (Phasen von bis 3 (max 4) Jahren. Über Fr 230‘000.-/J „A“: Erfolgreiche Offerte; Lead Agent mit mindestens Profil B mit mind 2 Jahren in Lead-Position „Gremium“/ Projektleitung/ Team Leader Evaluationen Lotteriestufe „A“ Beabsichtigte Wirkung, kooperative Qualität vor Ort, Kosten
Finanzen, Buchführung, Administration

Finanzen, Buchführung und Administration aller Vorgänge werden durch die bisherigen Bundesämter betreut. Delegierte der Bundesämter können als „Akteure“ registriert werden, mit den selben Rechten und Pflichten gemäss ihrer zugesprochenen Kategorie.

Dokumentation

Projektdokumente (Planung, Zwischenberichte, Schlussberichte werden klassifiziert und zur Pflege der Erfahrungen in Dokumentationszentrum abgelegt. Aufgabe der bisherigen Bundesämter

Evaluation

Externe Evaluationen werden stichprobenartig durch Gremium oder auf Antrag Plenum durchgeführt. Berichterstattung geht in die Dokumentation. Lead mind Kategorie A, Team mind Kat B.

Schiedsgericht

Zum Vermeiden von Rechtsstreit wenn notwendig, extern

Ethikstelle (Ombudsstelle)

Ethisch problematische Fragen, Bsp Korruption, Missbräuche u.a. werden von dieser behandelt, mit Empfehlung an Plenum. (könnte existierende externe Stelle sein)

 

 

 

Entschädigung:

„Gremium“: Monatshonorar

„Plenum“: Spesen b Teilnahme

Durchführende: CH, CH-Personal: Löhne nach üblichen (CH)-Sätzen bzw gemäss Ortsüblichkeit

Abläufe:

  • Entgegennahme von Projektvorschlägen: jederzeit, Auswahl für zeitlich folgende Lotterie. Danach muss Neueinreichung erfolgen
  • Lotterien: Alle 3 Mt
  • Aktualisierung Datenbasis für Akteure: Alle 3 Mt
  • Sitzung „Gremium“: Mind alle 3 Mt
  • Sitzung „Plenum“: mind 1x/Jahr
  • Ersatzwahl „Gremium“: alle 2J die Hälfte der Mitglieder

 

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(C) IDEAS 23. August 2019

Schweizer IZA am Scheideweg

Im neuen Plan soll Lateinamerika weggelassen werden. Geht es uns nichts mehr an? Bild: Hafenstadt Buenaventura, Kolumbien.

Wir haben zu lange einen undurchsichtigen Apparat weniger Bürokraten und Insider das Thema besetzen lassen, an deren Arbeit und Ergebnissen vielerlei Zweifel möglich und erlaubt sein müssen.

Der folgende Text ist heute am 28. Juni 2019 leicht gekürzt als Gastkommentar in der NZZ erschienen. Wir erwogen kurz, ihn mit dem Titel „Bad Governance bei der Schweizer IZA“ zu überschreiben, was in unseren Augen eine gute Zusammenfassung der Zustände wäre.. Wir entschieden uns dagegen, weil uns die Perspektive, eine Verbreiterung des IZA-Gedankens unter NGOs und in der Öffentlichkeit anzustreben, wichtiger erschien.

Wir würden uns eine rege Debatte und selbstverständlich auch Kommentare hier wünschen. Gerne hätten wir Rückmeldungen von NGOs, die am Entstehen einer möglicherweise gemeinsamen Stellungnahme zur Vernehmlassung interessiert sind:

Am 2. Mai hat der Bundesrat den Bundesbeschluss zum Vierjahresplan 2021-24 zur Entwicklungszusammenarbeit (IZA) in die Vernehmlassung geschickt. 40 Jahre lang war das eine Routineangelegenheit. Auch der Etat ist stetig angewachsen, auf inzwischen rund 3 Milliarden/Jahr.

Warum nun eine Vernehmlassung? Wurden die bisherigen Anträge nicht jahrzehntelang im Parlament abgenickt, weil Ziele und geleistete Arbeit für alternativlos richtig galten?

Erstmals seit 1976 sollen sich nun breite „interessierte Kreise“ äussern können. Nicht mehr einzig die „üblichen Verdächtigen“. Hintergrund kann nur ein Unbehagen sein, sodass endlich jemand mehr wissen will. Wird wirklich das Bestmögliche getan? Die Frage ist nur zu berechtigt, angesichts der Weltlage und bisheriger Erfahrungen ist es höchste Zeit, die Routine zu durchbrechen. Wie weiter mit der Schweizer Entwicklungszusammenarbeit?

Die vorgestellten Thesen werden noch zu reden geben. Hoffentlich äussern sich viele, die das Thema kennen, aber nie gefragt wurden. Dazu zählen namentlich die vielen kleinen Hilfswerke, die bis jetzt ohne öffentliche Hilfe tätig waren. Die Frist läuft bis 23. August. Man sollte sie nutzen, denn dass nach 43 Jahren erstmals eine öffentliche Debatte zu Inhalten und Vorgehen in der IZA gewagt wird, ist ein Schritt in die richtige Richtung. Nur: das Problem besteht im System selber. Nicht im EZA-Gesetz von 1976. Es ist kurz und hält in Grundzügen fest, was noch heute gelten darf.

Die Verordnung zum Entwicklungshilfegesetz hat ein Königreich geschaffen

Der Fehler liegt in der bundesrätlichen Verordnung von 1977 dazu. Sie bestimmt gleich im ersten Artikel, welche Bundesämter zuständig sein sollen, samt breitesten Kompetenzen. Dies ist in erster Linie die damals neu zu gründende heutige DEZA. Staatspolitisch naiv, weil ohne wirksame checks und balances, aber bei wenigen Millionen jährlich vielleicht verständlich.
Was wurde daraus? Fazit nach 40 Jahren: Mit der Vervielfachung des Budgets und daraus folgenden Verflechtungen hat sich dieses obrigkeitsgläubige Konzept nicht nur überlebt, sondern in einer Weise pervertiert, wie man es sonst nur aus autoritären Staatsgebilden kennt: Ein abgeschottet unnahbarer Apparat ist entstanden. Er kontrolliert die gesamte IZA-Tätigkeit und die Finanzen dazu. Mit Blick auf den Kranz der davon abhängigen NGOs und Institutionen sieht das demokratisch aus, aber nur ganz Wenige haben die Kontrolle: Die „Behörde“ bestimmt nach Gutdünken, wer Aufträge erhält und wer nicht, welche NGOs und Institute Beiträge bekommen, und immer: wieviel an Geldern wo zugeteilt wird. Alles unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Wer nicht spurt, bekommt nichts. Fokus sind nicht Länder in Not, sondern Interessengruppen in der Schweiz: Wo es passt, werden scheinbar eigenständige NGOs gegründet, etwa zum Zweck der Geldverteilung in ausgewählten Regionen. Andere werden still und leise fusioniert, wenn sie trotz Bundesmillionen nicht zurechtkommen. Man setzt die eigenen Leute auf Positionen in internationalen Organisationen wie OECD, Weltbank, usw. und nimmt Einfluss auf die Bestallung zahlloser Forschungs- und Lehrpositionen. Wen wundert, dass all die Beglückten stets das Loblied der Schweizer IZA singen? Anderes hätte unverzüglich Streichung von Geldern oder das Ende der Karriere zur Folge. Trotz feudaler Strukturen hat es die DEZA fertiggebracht, in der Schweiz als Inbegriff guter IZA schlechthin zu erscheinen.

Die jetzt vermeintlich neuen Ziele werden nichts ändern. Der Staat im Staate bleibt. Und dies in der zutiefst demokratischen Schweiz? Anderswo gelten dergleichen Zustände als typisch für „Bad Governance“. Sind zu viele für die Missstände blind, weil sie immer noch an den Mythos der „humanitären Schweiz“ glauben wollen?

Die gute Nachricht ist: Der Bundesrat könnte die Verordnung in Eigenregie jederzeit so ändern, dass ein brauchbares Konzept daraus würde. Ein solches sollte sachgerechtere Rahmenbedingungen schaffen zum Vollzug des Gesetzes: Niedrigere Hürden zur Beteiligung breiterer Kreise, Gewaltenteilung und wesentlich mehr Transparenz. Ämter wie die bisher fast alles bestimmende DEZA bekämen klare Aufgaben: Verwaltungstechnische Betreuung und Koordination.

Wir brauchen IZA. Unseretwegen

Internationale Zusammenarbeit ist nicht ein banales Routinegeschäft wie viele, das an eine Verwaltungseinheit ausgelagert und dann vergessen werden kann. Sie ist, mindestens so sehr wie die Lösung der Klimaproblematik und weiterer grosser Herausforderungen, eine gesellschaftliche Aufgabe, die uns alle angeht, denn sie ist mit allem anderen verbunden. Dabei hilft, vielfache Beziehungen zu anderen Ländern und ihren Menschen zu pflegen. Es täte unserem politischen Diskurs dringend gut, wenn mehr Menschen hier die Wechselwirkungen mit dem Leben Ungezählter in anderen Erdteilen besser verstehen könnten. Und was kann solches Verständnis mehr fördern, wenn nicht konkrete Auseinandersetzung vor Ort?

Medien und Internet liefern viele, auch falsche Bilder und Interpretationen. Wir brauchen mehr denn je einen sicheren inneren Kompass, um uns im Widerstreit der Ideologien zurechtzufinden und uns zu behaupten. Nicht weil wir technisch und moralisch überlegen sind, braucht es IZA. Es sind wir alle, die diese brauchen, um uns der Realität am anderen Ende der Welt auszusetzen und so die Bodenhaftung zu bewahren. Unsere Gelder und Technologien sind der kleine Preis, den wir zahlen. Es sollte uns daran gelegen sein, dass möglichst viele aus unserem Land im Lauf unserer beruflichen Laufbahn wenigstens zwei, drei Jahre weit weg von unserem Dunstkreis in der Ferne mit dem auseinandersetzen, was dort Sache ist.

Verzetteln wir uns!

Damit etwas besser wird, braucht es Vielfalt und Widerspruch. Und zwar hier bei uns. Wir haben zu lange einen undurchsichtigen Apparat weniger Bürokraten und Insider das Thema besetzen lassen, an deren Arbeit und Ergebnissen vielerlei Zweifel möglich und erlaubt sein müssen. Wir sollten lernen, IZA hierzulande auf eine viel breitere gesellschaftliche Basis zu stellen. Mehr Beteiligte, mehr an dringend benötigten Ideen. Es gibt Viele, die bereit wären sich zu engagieren, wenn sie nur Gelegenheit und Anleitung hätten. Beteiligen wir sie, es ist möglich. DEZA & Co. sind nicht der Vatikan, und ihre Experten sind ebensowenig unfehlbar wie der Papst.

Wo bleibt die Debatte?

Wo sind also die Journalisten, die es wagen, weiterzufragen, auch wenn man ihnen bedeutet, Kritik könnte der eigentlich „guten Sache“ schaden? Wo sind die Mitarbeitenden, die nicht aus Angst um ihre Karriere schweigen, wenn sie Unstimmigkeiten und Fehlentwicklungen sehen? Wo sind die Experten, die nicht auf Folgeaufträge schielen, sondern ihrem Auftraggeber klipp und klar zu sagen wagen, wenn ein Projekt nichts taugt? „Tut um Gottes Willen etwas Tapferes!“

Transparenz jetzt!

Entwicklungszusammenarbeit (EZA) und ihre Auswirkungen lassen sich nicht trennen von anderen wichtigen Fragen wie Globalisierung, Migration, Welthandel, Umweltzerstörung, und vielen weiteren, die uns alle betreffen.

EZA kann einen sinnvollen Beitrag leisten, wenn sie zielgerichtet und wirksam geleistet wird. Dies sicherzustellen ist nötiger denn je.

So ist es nicht gleichgültig, was von DEZA und Hilfswerken mit unserem Geld getan wird, und was zu verbessern ist. Es ist wichtig, dass die Öffentlichkeit an der Debatte teilnimmt.

Um mitzureden, muss die Öffentlichkeit aber Bescheid wissen. Und dazu wiederum muss man wissen, was da draussen eigentlich gemacht wird. Dies wiederum ist nur möglich, wenn man darüber genug erfährt, also mit TRANSPARENZ.

Seit über 20 Jahren arbeiten wir von IDEAS AidRating daran, mehr Transparenz in der EZA herbeizuführen. Seit 2008 gibt es unsere Transparenzratings, und seit 2015 gibt es unser Transparenzsiegel.

Viele Leute haben das verstanden. Auf unserer Website haben wir ab Beginn Transparenzrating bis Ende 2014 eine Umfrage gestaltet, die von 82 Personen beantwortet wurde. Bei weitem die meisten finden, mehr Transparenz sei sehr wichtig, wie aus dieser Umfrage zu ersehen ist.

In kurzer Zusammenfassung lässt sich sagen:

  • 86.6% der Beantworter wollen mehr über die Wirkung der EZA erfahren
  • 76.8% wollen mehr über die Risiken wissen, die dabei eingegangen werden
  • 76.8% wollen, dass die Hilfswerke transparenter berichten!

Hier die Ergebnisse im einzelnen:

https://www.surveymonkey.com/results/SM-WK7JZP7M/

Parlament: neuer Vierjahreskredit Entwicklungshilfe

Ab 4. Juni 2012 debattiert das Schweizer Parlament den neuen Vierjahreskredit für Entwicklungshilfe über Fr 11.35 Mia. Wir meinen: Erhöhen ja, aber verbunden mit klaren Vorgaben in Bezug auf mehr Transparenz, bessere Einbindung in eine echte aussenpolitische Positionierung der Schweiz, und mehr Wirkungsorientierung. Dazu ein Beitrag in unserem Blog, den Sie kommentieren können: IDEAS-Standpunkt zur Schweizer Entwicklungszusammenarbeit.

IDEAS-Standpunkte zur Schweizer EZA

Wege zum Umgang mit der bundesrätlichen Botschaft zur Entwicklungszusammenarbeit 2013-2016

Auf 322 Seiten behandelt die Botschaft zur Entwicklungszusammenarbeit 2013-2016 Vorstellungen zur Ausgabenpolitik der kommenden vier Jahre. Die Erhöhung der Hilfe ist richtig, wenn sie transparent und mit klaren Prioritäten geplant wird, an denen sich die Ergebnisse dann messen lassen. Aber es ist Aufgabe der Zivilgesellschaft und der Politik, diese Prioritäten und Ziele festzulegen. Mit einer durchdachten Entwicklungspolitik hätte die Schweiz ein wichtiges Instrument ihrer Aussenpolitik und damit ihres Selbstverständnisses in Händen. Genutzt wird dieses Instrument seit Jahrzehnten kaum. Auch die neue Botschaft enthält zwar die unerlässlichen Ausgabentabellen, ansonsten aber derart unklare und austauschbare Vorgaben, dass diese einem Freibrief zur Beliebigkeit gleichkommen.

Es ist nötig und sinnvoll, die EZA als Teil einer Aussenpolitik zu sehen, die die langfristigen Verpflichtungen und Interessen eines an Respekt und Mitsprache in internationalen Gremien, Stabilität, wohlwollenden Freunden und an prosperierenden Handelspartnern interessierten kleinen Landes pflegt und fördert. Einer Amtsstelle und ihren Beamten steht es nicht zu, die Entwicklungspolitik zu definieren und auch nicht zu entscheiden, wer an ihrer Gestaltung mitwirken darf und wer nicht. Der Grundsatzdiskurs ist Sache der Parlamentskammern und der Zivilgesellschaft, bei der Ausführung muss mehr Wettbewerb und echte Leistung hinzukommen. In diesem Rahmen soll auch das Budget wie beantragt wachsen können.

Pünktlich zur Debatte ist von der DEZA eine Evaluation präsentiert worden, die sich mit dem Engagement in „fragilen Staaten“ befasst, dem Gebiet also, wo die DEZA vermehrt aktiv werden will: Trotz diplomatischer Formulierungen erweist sie sich als kritisch gegenüber den operationellen DEZA-Fähigkeiten und moniert auch die Unklarheit dessen, was „fragil“ überhaupt heissen soll. Es ist oft von „Potential“ die Rede. Das heisst im Klartext: Man könnte etwas besser machen, tut es aber nicht. Dies betrifft das gesamte Spektrum, vom Definieren stategischer Vorgaben hin zum gezielten Sammeln von Fakten im Feld und dem Treffen konkreter Massnahmen. (Auf DEZA-Homepage unter „Evaluationen seit 2010“: Evaluation 30.5.2012, DEZA Ref Nr 2012.68)

Das ist ein deutlicher Wink an die Politik, sich zunächst mehr Einfluss und Mitsprache im zu sichern und sich dabei nicht durch dir nebulöse Diktion der Botschaft daran hindern zu lassen. Er betrifft alle Entscheidungsträger, und jene an den beiden Polen des bedingungslosen „Dafür“ wie des „Dagegen“ ganz besonders, denn diese tragen zur Stagnation besonders bei. Es würde Raum geschaffen zur Entwicklung von Innovationen und Konzepten, die im bisherigen engen Rahmen nicht zum Zug kamen.

Sofortmassnahmen

Besonders dringlich wären mehr Transparenz und mehr Wettbewerb. Politisch könnte dafür der Weg gebahnt werden durch Verknüpfung eines Ja zur Botschaft mit folgenden Zusatzforderungen, etwa per Motion:

  1. Einführung voller Transparenz über Projekte und Tätigkeiten. Die DEZA hat schon 2009 eine internationale Initiative grosser Geber zu einem Standard zur Berichterstattung unterzeichnet, der konkreter ist und bessere Lernerfahrungen ermöglicht als die ältere und unvollständig umgesetzte OECD DAC-Codierung. Der neue Standard ist bekannt ais IATI. Die Einführung macht erhebliche Fortschritte. Fast alle grossen Geber und renommierte internationale NGOs wie Oxfam haben sich schon darauf verpflichtet. Die Schweiz hat auf internationaler Ebene die Einführung auf Oktober 2011 versprochen. Auch Alliance Sud befürwortet die Einführung von IATI. Dennoch bestehen innerhalb der DEZA offenbar starke Widerstande. In der bundesrätlichen Botschaft wird IATI trotz aller Versprechen mit keinem Wort erwähnt.
    Hingegen liegen die Vorteile der durch IATI möglichen Vergleichbarkeit auf der Hand: Noch kaum absehbar sind die sich eröffnenden Perspektiven für verbesserte Wirkungsorientierung: Erfolge und Misserfolge im Feld lassen sich über ganze Sektoren, Regionen, Ländergruppen und darüber hinaus vergleichen und analysieren. Die wäre ein Quantensprung bei der bisher chronisch dürftigen Datenlage zur Wirkungsevaluation, wie er noch nie dagewesen ist.
  2. Mehr Wettbewerb durch stufenweise Öffnung des Marktes für Beratungs- und Durchführungsleistungen im Bereich Entwicklungszusammenarbeit innerhalb der Schweiz. Dieser umfasst jährlich 140 Millionen Franken und beschäftigt einige Hundert Anbieter. Nur ein Dutzend von diesen aber erhalten den grössten Teil davon (2010: 86%), siehe IDEAS-Analyse der Vergabepraxis DEZA 2010.
    Dies führt zu einem wettbewerbsfeindlichen Favoritismus, verbunden mit Innovationsdefiziten und mit den bei fehlendem Wettbewerb zu erwartenden Nachteilen bei den Kosten. Mehr Wettbewerb brächte einen Mehrwert für die Schweiz durch breitere Streuung von Know-how im internationalen (Entwicklungs)umfeld, sowie durch breitere Nutzung des kreativen Potentials (crowdsourcing). Ausschreibungen müssen weit öfter als bisher, Folgeaufträge sollten nur noch in engen Grenzen erfolgen. Bei Vergaben müssten kleine Agenturen und Neulinge die Chance bekommen, sich zu bewähren; bei freihändigen Vergaben müsste ein Zufallsprinzip spielen. Die Zuteilung müsste von den Beziehungen und Interessen der beteiligten Beamten befreit erfolgen.

Mittelfristige Massnahmen

Verbesserte Transparenz und mehr Wettbewerb käme der gesamten Organisationskultur zugute. Sie könnte stark beitragen zu zielorientiertem Handeln, Abbau von Verzettelung und Konzentration auf Wesentliches. Mittelfristig aber könnte die EZA zu einem wichtigen und respektierten Instrument der Schweizer Welt-Aussenpolitik werden. Dies wird einiges an Arbeit erfordern. Der Anstoss könnte aber ab jetzt durch Einbringen entsprechender Postulate mit Eckdaten und Terminen für Etappenziele gegeben werden:

Besinnung auf die Kernkompetenzen

Die betroffenen Bundesämter sollten zurück zu ihren Kernkompetenzen finden oder sich diese erarbeiten unter Mitwirkung ihrer Departemente. Welches diese sind, wäre nicht von den Ämtern selber zu bestimmen, sondern durch Parlament und öffentliche Debatte aufgrund der Zielvorgaben im Entwicklunghshilfegesetz, an die man sich bei dieser Gelegenheit getrost wieder einmal erinnern kann. Vier wünschenswerte Kernkompetenzen gibt es anzuführen:

Diplomatischer Dialog: Zum einen betrifft dies verstärkt diplomatisch-konsularische Aufgaben. Hierhin gehören namentlich Sicherstellung zwischenstaatlicher Kommunikation, Schutzfunktionen für Projekte und „Feldmitarbeiter“, sowie „Policy-Dialog“ zur Erörterung staatlicher Grundleistungen auf ministerieller Ebene, wie sie auch in der genannten Studie angemahnt werden. Solche Funktionen dürften länderspezifisch wünschbar sein in „fragilen Staaten“ und anderen, wo die Schweiz besondere Ziele oder Interessen verfolgt, etwa Partner von Ländergruppen bei IMF und Weltbank. Hier könnten die bisher vorwiegend als ausgelagerte Verwaltungszentren wirkenden Koordinationsbüros der DEZA ihre wesentliche Aufgabe finden, und dies in geringerer Zahl und mit kürzerer Präsenzperspektive als bisher.

WTO-Position: Der zweite, damit verbunden, wäre die Pflege der Schweizer Positionen gegenüber den Bretton Woods- und UN-Institutionen verbunden mit der Verwaltung der entsprechenden Budgets. Auch hier wäre einiges zu tun, die Beziehungsnetze aus den längst gewachsenen verwaltungstechnischen Verflechtungen herauszuheben und zu einem Aufgabenbereich mit politisch klaren Vorgaben zu machen. Diese böten den Rahmen, in dem Höhe und Zweckbestimmung der Geldbeiträge in politischem Prozess erarbeitet würde.

Governance: Dritter Kompetenzbereich wäre die Kooperation von Regierungsstelle zu Regierungsstelle: Unterstützung staatlicher Schlüsselfunktionen wie Rechtspflege, Bildungspolitik, Polizeiwesen, Korruptionsbekämpfung, Governance. Alles begleitet von einem energischeren, auch in der erwähnten Evaluation angemahnten „Policy-Dialog“. Zuständige Bundesämter könnten federführend und durch Eigenerfahrung fundiert, EDA und DEZA ausführend wirken. Bedingung wäre allerdings auch mehr Mut als bisher beim Ansprechen von Problemen.

Verwalten statt herrschen:  Die vierte Kernaufgabe betrifft grundlegende Verwaltungsaufgaben, wie sie eigentlich immer sicherzustellen wären: Koordination und Informationsaustausch mit Akteuren, Controlling, Qualitätssicherung, und Berichterstattung. Der Bereich ist anspruchsvoll, weil es sich um weit divergierende Themen, unterschiedliche geografische Gebiete, und eine grosse Zahl unterschiedlicher Akteure handelt. Politik und Wissenschaft müssten das Ihre beitragen, um die Bundesämter nicht allein zu lassen: Schon die eben jetzt neu veröffentlichte DEZA-Evaluation berichtet, dass die DEZA-Kader mit den vergleichsweise geringen Anforderungen in Bezug auf „fragile Staaten“ schnell überfordert reagierten. Bei tiefgreifenderen Reformen dürfte dies noch stärker der Fall sein, was langfristige Bemühungen erwarten lässt.

Bundesrat: Botschaft zur Internationalen Zusammenarbeit 2013 bis 2016

Die bundesrätliche Botschaft zur Internationalen Zusammenarbeit 2013 bis 2016 mit einem Budget von 11.35 Milliarden ist da. Darin enthalten ist Entwicklungs- wirtschaftliche und humanitäre Zusammenarbeit, aber auch Flüchtlings- und Asylwesen in der Schweiz. Was nirgends drinsteht: Die überfällige Erfüllung der IATI-Transparenzkriterien, versprochen auf Oktober 2011.

Der Nationalrat soll die Botschaft in der Sommersession, der Ständerat in der Herbstsession beraten.

Deza-Direktor Martin Dahinden im DEVEX-Interview

DEZA-Direktor Martin Dahinden (Bild: EU)

DEZA-Direktor Martin Dahinden (Bild: EU)

Was die Öffentlichkeit in der Schweiz nicht weiss, und bisher auf der DEZA-Homepage nicht zu finden ist: Von der DEZA geplante Eckpunkte der Schweizer Entwicklungshilfe in den kommenden vier Jahren (2012 bis 2016).

Interview von DEVEX mit DEZA-Direktor Dahinden (auf Englisch): Was die DEZA vorhat, Dahinden Interview Sneak Peek (PDF) bzw. direkter Link zum Artikel bei DEVEX

Unsere Replik, ebenfalls auf Englisch: Comments AidRating on Dahinden interview bzw. Comments on Dahinden Interview at Devex (PDF)

Alliance Sud: Mehr Unabhängigkeit und mehr Engagement für Transparenz in der Branche!

Zum 40. Geburtstag von Alliance Sud: Die „Arbeitsgemeinschaft der Hilfswerke“ war 1971 eine kleine Gruppe von Hilfswerken mit engen Verbindungen zu Medien und Politik. Das ist so geblieben: Alliance Sud ist heute eine reine Lobbyorganisation für die Interessen dieser Gruppierung, eng verbandelt mit der DEZA.

Was sie nicht ist: Eine echte Plattform für alle Interessierten. Unser Geburtstagswunsch: Mehr Unabhängigkeit und mehr Engagement für Transparenz in der Branche!

Anmerkungen von IDEAS-Präsidentin Elvira Prohaska zum Anlass: Zur Jubiläumsversanstaltung der Alliance Sud „Die Medien und der globale Süden“ (PDF)

Peter Niggli und Caroline Morel von Alliance Sud luden ein zur Diskussion mit den Medien.

Ein klärendes oder verbindendes Gespräch zwischen den Akteuren ist es nicht wirklich geworden, ein Akt der Selbstdarstellung war es allemal. Die Gespräche am Apéro belegten: Eine Ratlosigkeit im Nebeneinander blieb.

Dennoch wurden einige bemerkenswerte Aussagen gemacht, die, einmal zusammengebracht, im Kontext der Anliegen von IDEAS AidRating durchaus Sinn und Logik machen. Wir beobachten seit Jahren kritisch die wachsende Bürokratie und schrumpfende Praxisnähe in der Entwicklungszusammenarbeit. Einer zunehmenden Virtualisierung ähnlich, verbunden mit noch mehr Werbung und verwirrender Trendsuche auf der einen Seite- während andererseits der Informationsgehalt stetig abnimmt. Wir rufen im Gegensatz zu den ausführenden Akteuren nicht einfach nach „Guter Regierungsführung“ in den Empfängerländern, sondern wir fordern mehr Transparenz über die geleistete Arbeit der Geberländer selbst. Wir entwickeln konkrete, anwendbare Modelle und Leitfäden, wie das geschehen könnte, und erstellen jährlich unsere Transparenz- Studie. Die Medienvertreter, bis auf einige wenige, fanden das durchaus spannend und notwendig. Sie scheuen sich dennoch, darüber zu berichten.

Doch spannen wir einmal den Bogen. Führen wir die wesentlichen Aussagen der Jubiläumsfeier zusammen.

Martin Dahinden, Direktor der DEZA, zitierte Hegel. Er sprach davon, dass „die Form immer die Form des Inhalts ist“, dass das „auch unser Dilemma“ ist, „wenn wir uns mit dem Weltsüden befassen“ und wir „riskieren… den Blick auf die Hintergründe zu verstellen“ und wir „Gefahr laufen“, „eine Art Aufmerksamkeit zu erregen, die letztlich den Inhalt verändert und entstellt“. Er kündigte zudem „Taten“ an, die „zu tun“ seien, und verkündete, dass die DEZA daran ist, „ihre Internet-Kommunikation zu verstärken“.

Wir wollen ihn gerne beim Wort nehmen. Wir erwarten von diesen Aussagen, dass er nicht etwa nur Werbung durch einen neuen „Web-relaunch“ der DEZA meint und die Zuwendung zu den Social Media. Wir erwarten, dass die DEZA wieder zu den grundlegenden Inhalten der Entwicklungszusammenarbeit zurückkehrt und endlich Transparenz über die geleistete eigene Arbeit bietet. Dann entspräche die Form dem Inhalt und die Taten den Worten. Das seit langem von IDEAS an die DEZA herangetragene Thema würde greifbar werden: Transparenz in der Entwicklungszusammenarbeit. Nicht um ihrer selbst willen, sondern als Mittel für eine echte inhaltliche Diskussion! Pikant das Internet: Von allen Festrednern wird es als Medium plötzlich als unverzichtbar wichtig für die Öffentlichkeit erklärt. In den wenigen Äusserungen zu unseren Studien wurde stets das Gegenteil gesagt.

Mit seiner höchst informativen Analyse zu „Qualitätsverlust und Schrumpfung der Aussenberichtserstattung“ in der Medienlandschaft bot Kurt Imhof, Professor für Publizistik, Soziologe und Leiter „fög- forschungsbereich öffentlichkeit und gesellschaft“ eine Basis für eine interaktive Diskussion, die, wie wir meinen, auch genutzt werden sollte. Wir sagen: Qualität ergibt sich nicht aus noch so aufwendiger Werbung und PR. Sie oder besser Kompetenz zeigt sich hingegen in der Bereitschaft zum Diskurs.

Wenn dann Anne-Marie Holenstein, Pionierin in der EZA, gemahnte, dass „zum Spezifikum entwicklungspolitischer Informationsarbeit“ gehört, „dass sie immer wieder Handlungsangebote mit Provokationsgehalt macht und dadurch das Bedürfnis nach Information weckt“, fragen wir uns, wo denn die Umsetzung dieses Leitsatzes bleibt? Das Gegenteil ist der Fall: Kritische, also „provozierende“, Meinungen und Forderungen, auch die unseren nach mehr Rechenschaft und Transparenz, werden mit Schweigen zugedeckt oder als „unseriös“ diffamiert. Die Medienschaffenden erwecken gar den Eindruck, als hätten sie Angst, in Ungnade zu fallen, sprächen sie auch nur im geringsten mögliche Probleme bei den Sachwaltern der „richtigen Meinung“ an.

Therese Frösch, SP Nationalrätin und Mitglied der beratenden Kommission für Internationale Entwicklung und Zusammenarbeit, stimmte dem eigentlich zu, indem sie konstatierte: „Unbequeme Fragen sind nie und nimmer auszublenden. Aber in der heutigen globalisierten Welt werden sie, je näher sie uns rücken, je dringlicher sie die Schweiz betreffen, desto mehr ausgeblendet. Die wichtigen richtigen Fragen werden nicht oder zu wenig gestellt“. Wie sehr entspricht das doch unserer Erfahrung!

Ein kurzes Streiflicht noch auf ein Thema, das hierher passt, auch wenn es nicht unbedingt Thema des Podiums selbst war. Es ergab sich am Apero und scheint wohl von einigen als Belastung empfunden zu werden. Einige Vertreter von Hilfswerken stöhnten unter dem, wie sie sagten, „Druck des Wettbewerbs“ in der Branche. Wir merken dazu an: Welcher Druck? Und warum? Von mehr Wettbewerbsdruck auf der Leistungsseite kann nicht die Rede sein.

Im Gegenteil. Fast alle Aufträge werden weiterhin unter der Hand an die üblichen Verdächtigen verteilt. Die neueste „Rettungssschirm“- Aktion des Bundes bei der Fusion Intercooperation / Helvetas zeigt dies deutlich. Wie um zu verdecken, dass Intercooperation, ein ganz vom Bund getragenes Hilfswerk, seit Jahren nachweislich rote Zahlen schreibt, wurde Intercooperation samt der ganzen erfolglosen Equipe, getarnt als „Fusion“, gnädig unter dem Schirm Helvetas versteckt. Ohne die IC- Projekte im Umfang von rund 40 Millionen neu auszuschreiben oder gleich einzustellen.

Angesichts einer derart verpassten Gelegenheit fragen wir: Wo ist da der Wettbewerb und wo sein Druck? Die Forderung der ständerätlichen Kohärenzstudie von 2006 (!) nach mehr Wettbewerb in der EZA wird nach wie vor ignoriert. Schlimmer noch, es wird ihr zuwider gehandelt.

Wenden wir uns also, nach dem Lauschen auf die Worte der Experten in der Entwicklungsbranche, nun den Medien zu. Die suchten sich und ihren Bezug zur Entwicklungszusammenarbeit auf der Veranstaltung ihrerseits zu erklären. Was auffiel: Das Wort Entwicklungszusammenarbeit gab es nicht aus dem Munde der geladenen Medienfachleute. Die Rede war eher von Auslands- oder Aussenberichterstattung.

Auch sprach niemand im Podium an, was wir als neue Erscheinung wahrnehmen: Open Data ist mittlerweile auch ein Thema, vielleicht sogar das Reizthema im Journalismus geworden. DRS 2 befasste sich in der Sendung Kontext vom 24. April 2011 „Wie Journalisten Zahlenberge zu Stories machen“ damit. Es sollen Raster zur Entschlüsselung von öffentlichen Daten gefunden werden. Dieses Problem ist uns sehr vertraut. Wir sind bei unseren Recherchen laufend mit fehlenden oder kaum interpretierbaren Daten konfrontiert. Wir wären oft schon froh, sie überhaupt vorzufinden. Warum gerade hier anspruchslos bleiben?

IDEAS AidRating fordert seit Jahren Transparenz und freien Diskurs in unserer Entwicklungszusammenarbeit ein, aufgrund realer Erfahrung in Projektarbeit vor Ort.

Mit mehr Transparenz zu genau dieser könnten die Medien wieder klarer sehen, ebenso informieren. Befreit vom Dickicht der individuell kreierten Datendschungel eines jeden Hilfswerkes könnten sie sogar Interesse an Recherche und Vertiefung finden. Es könnte wieder einige Medienschaffende geben, die von Entwicklungszusammenarbeit „etwas verstehen“, und nicht wie Peter Niggli fast schmerzlich sinnierte „Niemand mehr, der das heutzutage tut“. Wobei zu fragen bleibt: Wie steht es mit dem Einfluss seiner Lobbygesellschaft, in dieser Sache mehr zu tun?

Mit Transparenz hätten die Politiker bessere Entscheidungs- und Handlungsgrundlagen. Auch teure Abenteuerreisen zur Beeinflussung anstehender Abstimmungen, wie jüngst vor der Debatte zur Erhöhung des EZA-Budgets mit einigen Politikern nach Afrika, von Frau Frösch eingangs noch als Bereicherung lobend erwähnt, würden den Steuerzahler nicht mehr belasten.

Beschluss: Entwicklungshilfe-Kredit soll bis 2015 erhöht werden

Am 18. September hat der Ständerat beschlossen, den Entwicklungshilfe-Kredit bis 2015 nun doch auf 0.5% des BSP zu erhöhen.

Hervorragend, finden wir, das Geld wird aufzubringen sein. Das Geschäft geht nun zurück an den Nationalrat.

Aber Geld ist eines, Wirkung und Transparenz sind etwas anderes. Über diese wird zu wenig geredet. AidRating schaut diese beiden näher an, während andere noch eine Weile übers Geld reden!