Effektiver Altruismus, Give Directly et al.

In den vergangenen Jahren hat man immer wieder gehört vom  „effektiven Altruismus“ und von Organisationen wie „Give Well“ oder „Give Directly“. Wir werden seither immer wieder zu unserer Meinung dieser „Bewegung“ gegenüber gefragt. Hier beispielhaft Interviewfragen, gestellt im Januar 2018 von einer Schweizer Uni-Absolventin für ihre Bachelor-Arbeit.

Interviewfragen –  IDEAS Aid Raiting

Vorbemerkung AidRating: Wir betrachten in erster Linie Transparenz und Wirkung von Organisationen der Entwicklungszusammenarbeit (EZA), d.h. der Tätigkeiten, die zu einer besseren Bewältigung des Lebensumfeldes in „Entwicklungsländern“ durch die Menschen dort führen sollen. Die Antworten beziehen sich stets auf diese Grundvoraussetzung.

Spenden

  1. Sie messen NGO’s nach Ihrer Transparenz und Qualität. Wie sehen Sie die derzeitige Situation im Schweizer Spendenmarkt? Sind die Hilfswerke gut aufgestellt, ist Ihre Wirkung transparent?

Wir messen die Transparenz, nicht die „Qualität“. Letztere sollte Gegenstand der Debatte werden, ermöglicht durch Kenntnis der Ziele und Tätigkeiten -dank „Transparenz“.

Die Berichterstattung der grossen Hilfswerke war nie besonders transparent, am wenigsten wenn finanziert von der DEZA, also der staatlich kontrollierten EZA. Das konnten wir schon vor Jahren statistisch belegen (LINK)

Man muss annehmen, dass weniger an wünschbarer Wirkung erzielt wird als behauptet. Die grossen und bekannten Hilfswerke hängen inzwischen fast völlig von der DEZA ab, Spenden spielen eine immer geringere Rolle.

Es gibt aber viele kleine und kleinste Hilfswerke, wo oft mit viel Herzblut und Redlichkeit versucht wird, zu helfen. Obwohl sie oft Knowhow und Finanzen gut gebrauchen könnten, bleiben sie bei der undurchsichtigen staatlichen Geldzuteilung meistens aussen vor.

 

  1. Glauben Sie, dass die Mehrheit von NGO’s momentan genug effektiv agieren? Braucht es Ihrer Meinung nach eine evidenzbasierte Wirkungsmessung?

Zum ersten Teil Ihrer Frage: Bei Hilfswerken unter DEZA-Einfluss: Nein. Je mehr staatliche Gelder, desto träger werden sie. Bei anderen: Können fallweise gute Arbeit leisten.Da die führenden Agenturen hier keine taugliche Richtschnur bieten, muss das im Einzelfall ermittelt werden.

Zum zweiten Teil:

  1. Wirkungsmessung oder besser –abschätzung aufgrund von geeigneten Indikatoren wäre gut und zu fördern.
  2. „Evidenzbasierte“ Wirkungsmessung, wie sie jetzt als Modebegriff kursiert, ist untauglich, solange dabei gezielt und damit unzulässig vereinfacht wird: Ohne angemessene Grundlage, also willkürlich werden Einzelaspekte herusgepickt, in Zahlen verwandelt und als Erklärung für komplexe Gesamtzusammenhänge ausgegeben. Es handelt sich um klassische Pseudowissenschaft, die Verwirrung stiftet und hoffentlich bald wieder verschwindet.

 

  1. Sehen Sie einen Handlungsbedarf, um eine evidenzbasierte Entwicklungshilfe mit Wirkungsstudien zu fördern? Oder glauben Sie weniger, dass Wirkungsstudien sinn machen?

Wenn es um Indikatoren wir unter 2 a) erörtert: Ja, kann nützlich sein. Am besten aber ist es, wenn in den Projekten selber schon ein Wirkungsmonitoring eingeplant ist. Wenn zu b) gehörig: Irreführend. Schnellstmöglich auf den Kehricht damit.

 

  1. Sehen Sie es positiv, dass es schon nur in der Schweiz eine so hohe Anzahl an Hilfswerken gibt?

Ja Vielfalt bringt Zuganz zu Erfahrungen auch von hiesigen Akteuren, und sie bringt Diversität.

 

  1. Sehen Sie eine Relevanz, dass Privatspender effektiv spenden? Oder ist es wichtiger, dass sie überhaupt spenden?

Wir finden sinnvoll, wenn sich Leute beim Spenden Gedanken machen über Ursachen und Zusammenhänge, und wenn sie sich mit Tätigkeiten und Zielen der betreffenden Hilfswerke auseinandersetzen. Wir brauchen mehr Bewusstsein darüber, in was für einer Welt wir leben, und warum es Privilegierte gibt und andere. Spenden nur um sich gut zu fühlen oder sein Gewissen zu beruhigen halten wir für fragwürdig.

 

  1. Studie über effektives Spendenzeigen, nur 20% der Spender sind tatsächlich interessiert, was die Spende oder das Hilfswerk tatsächlich nützt, sehen Sie hier Handlungsbedarf?

Ja, siehe Antwort zu Frage 5. Genau deswegen finden wir auch Transparenz nötig.

 

  1. Ist es in der Pflicht der Privatspender, des Hilfswerkes oder des Staates, dass Spenden effektiver werden? Oder soll spenden weiterhin aus einem Mitgefühl getan werden und weniger aus dem Effizienzgedanken?

Man kann es nicht zum Gesetz erheben. Aber mehr Auseinandersetzung mit den Ursachen wäre nicht nur für gezielteres Spenden gut, sondern auch für uns: Mehr Nachdenklichkeit darüber, woher unser Wohlergehen stammt, wie es mit dem Rest der Welt zusammenhängt. Auch Empathie darf dazugehören, die über das Ansehen trauriger Kinderaugen hinausgeht.

 

  1. In einem Artikel des EA habe ich gelesen, dass Privatspender diese Hilfswerke erhalten, welche sie verdient haben? Wären Hilfswerke effektiver, wenn wiederum Privatspender mehr auf die Effektivität achten würden?

Diese Frage verstehe ich nicht.

 

  1. Sie kritisieren die Zewo ziemlich scharf, da diese eher einen Fokus auf die Buchhaltung und Administrativen Kosten setzen und weniger auf Wirksamkeit und Transparenz. Glauben Sie, dass die Zewo ihre Standards verändern muss, damit sie in der Schweiz weiterhin ernstgenommen wird?

Es sollte Alternativen zur ZEWO geben, damit die Menschen eine Wahl haben und die jeweils angewandten Kriterien vergleichen können. Darum versuchen wir, ein alternatives Siegel zu lancieren. ZEWO betrifft im übrigen nicht nur EZA, sondern alle möglichen Arten von Hilfswerken und ist allein darum schon sehr unspezifisch.

Übrigens hat die ZEWO einen weiteren Makel, der weitgehend unbeachtet bleibt: Das ZEWO-Zertifikat wird missbraucht als eine Art DEZA-Filter zum Fernhalten unerwünschter Hilfswerke: Es wurde bisher von der DEZA als Vorbedingung für finanzielle Beiträge gestellt.

  1. Führen Sie in Zukunft weiterhin eine Transparenz Rangliste durch?

Wenn mehr Kräfte und Mittel zur Verfügung stünden, täten wir dies und noch mehr.

 

Effektiver Altruismus

  1. Wie stehen Sie allgemein zur Bewegung des Effektiven Altruismus? Ist es ein Thema bei Ihnen? Oder halten Sie, deren Bewegung für nicht so relevant?

Eine Modeströmung, unseres Erachtens ausgeheckt von Schreibtischtätern und Erbsenzählern in den USA, die keine Ahnung haben von den Realitäten vor Ort. Hoffentlich verschwindet sie bald.

 

  1. Ist es positiv, wenn Hilfswerke nach der reinen Effektivität ausgesucht werden?

 

Wen Sie das in der engen Definition des „Eff. Altr.“ meinen, dann ist die Antwort einmal mehr Nein. Oder eher: Man sollte sein Spendengeld nicht vergeuden und besser anderen spenden.

 

  1. Wo sehen Sie Potential bei dieser Bewegung? Oder haben Sie einzelne Punkte, welche Sie von der Bewegung positiv finden?

Das einzig Positive, das ich dabei sehe, ist, dass sich junge Leute überhaupt mit der Problematik auseinandersetzen. Allerdings nur, wenn dann auch weitergefragt wird und es vielleicht zu einer vertieften Auseinandersetzung mit der Sache kommt.

 

  1. Wo sehen Sie Risiken bei dieser Bewegung?

Vergeuden von Zeit und Ressourcen, bis die Leere dieser „Lehre“ durchschaut wird.

 

  1. Sie äussern sich eher kritisch gegenüber der Organisation GiveDirectly? Beäugen Sie auch allgemein Wirkungsmessung durch evidenzbasierte Studien kritisch? Glauben Sie, dass es wichtiger ist vor Ort die Situation zu sehen, als die Effektivität durch Wirkungsstudien zu messen?

 

Ich möchte warnen: Die Form der Frage nimmt schon vorweg, dass das, was „Give Directly“ macht, „evidenzbasiert“ ist und „Wirkung“ misst. Beides kann allenfalls bei einem Tunmnelblick unter Ausklammerung von allem übrigen behauptet werden.

Es gibt auch so schon ernstzunehmende Studien, die versuchen, die komplexen Zusammenhänge einigermassen in den Griff zu bekommen. Da gibt es auf der Welt Tausende seriöser Leute in seriösen Institutionen, die sich seit vielen Jahren darum bemühen. Dass da einige kommen und glauben oder so tun, als hätten sie jetzt die Wirkungsmessung entdeckt, ist geradezu grotesk.

Es gelten die Ausführungen zu Frage 2 und jene in unserem Blog, die nach vertiefter Lektüre der Berichterstattung und Argumentationsweise erfolgten. Hier nochmal, besonders die Antwort auf den Kommentar von Jonas Vollmer könnten etwas bringen:

http://aidrating.net/geschwaetz-bar-auf-die-kralle/#comments

Ich glaube nicht, dass sich irgendwo seriöse (sozial)wissenschaftliche Forschungsinstitutionen auf diese Sache auf Dauer einlassen werden.

Jan Stiefel

Mumpitz bar auf die Kralle

Anything goes, wenn man auf sich aufmerksam machen will. Das dachte ich zunächst, als ich den folgenden Beitrag im NZZ Folio las.

Unter der Rubrik „Das Experiment“ erzählt Journalist Reto U. Schneider von einem Sozialexperiment in einer kleinen Gemeinschaft am Viktoriasee in Kenia. Einem Teil des Gemeinwesens wurden ohne weitere Bedingungen umgerechnet Fr 250.- ausgehändigt. Dann wurde beobachtet, was mit dem Geld gemacht wurde. Ein paar der Beschenkten kauften nützliche Dinge. Jene, die das Experiment durchführten, waren von einer Organisation, die Geld direkt an Arme verteilt. Das Ergebnis des „Experiments“ war da genehm.  Es wird nun angepriesen als Beleg, dass es besser sei, Armen Geld direkt zu verteilen, statt aufwendige Projektarbeit zu leisten.

Hier der Beitrag im „NZZ Folio“ von November 2014.

Kommentar:

Ersinne ein Experiment, bei dem du Ausgangslage und Fragestellung extrem vereinfachst (Grasdach = arm; erhoffter Kaufentscheid = Erfolg), verabreiche den Auserwählten eine mächtige Dosis deiner Medizin (Geld), den anderen aber nicht, und erkläre das Aufsehen, das du dabei erzeugst, als für das Ergebnis völlig bedeutungslos.

Tu dann so, als ob du die Nebenwirkungen mit einbezögst („Neid kam kaum vor“) aber ignoriere alles übrige, und wähle den Beobachtungszeitraum gerade lang genug, dass sich bei der ausgewählten Teilgruppe ein maximaler Effekt in deinem Sinn messen lässt. Du kannst dabei (weitgehend zu recht) darauf vertrauen, dass die meisten deiner Leser genau wie du sich nur ichbezogen-ökonomische Entscheide nach eigenem Denkmuster als „richtig“ vorstellen können.

Veröffentliche dann dein Labor-Ergebnis durch die richtigen Kanäle als neue Erkenntnis, die ab sofort und möglichst umfassend anzuwenden sei. Du kannst sicher sein: Bei dem vielen Staub, den du aufwirbelst, kannst du für das „neue und innovative Entwicklungsmodell“ reichlich Geld sammeln. Zumindest aber bist du berühmt, lange bevor Heerscharen weiterer Wissenschaftskollegen in weiteren teuren Experimenten zum Schluss gelangen, dass die Sache nicht ganz stimmen kann. Du aber bist dann schon so weit oben auf der Erfolgsleiter, dass dich keiner mehr herunterzuholen wagt.

So läuft vieles, was sich „Wissenschaft“ nennt. Und so wurde und wird in komplexen Problemfeldern wie es EZA ist schon viel Unheil angerichtet.

Golden Rice, wieder einmal

Greenpeace hat recht, Golden Rice abzulehnen.

Wir halten Golden Rice als vermeintliche Lösung für Vitamin A-Mangel für einen Trugschluss, bei dem mehr neue Probleme entstehen werden als dass solche gelöst werden. Sowohl die Nutzenfrage wie jene der Risiken führen tief in die terra incognita der Entwicklungsfragen.

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Aidrating an der Openaid Data Conference in Berlin

Die Openaid Data Conference vom 29. September in Berlin mit 120 Teilnehmern aus ganz Europa war eine Inspiration. ÜberOpenforChangeall sind Organisationen und NGOs dabei, die erwartete neue Daten-Offenheit der Geber zu nutzen und neue Anwendungen dafür zu entwickeln. Das Interesse kommt gleichermassen von Organisationen in den Geberländern wie von solchen in den Empfängerländern, die mehr Rechenschaft verlangen.

Als erstes praxistaugliches Anwendungsbeispiel zeigt AidRating mit dem „Impact Rating“ (Evaluating and Comparing Development Project Effectiveness, PDF) , wie Vergleiche zwischen Projekten und Programmen möglich werden. Es ist längst nicht mehr die Frage, ob Daten und Infos herausgegeben werden sollen. Es geht inzwischen darum, welche genau die wichtigen sind, und was für Bedingungen erfüllt sein müssen, um als vollständig zu gelten!

Von der Schweiz kam ausser uns von AidRating niemand. Die Branche hierzulande scheint immer noch nicht begriffen zu haben, dass mehr und bessere Transparenz nötig ist und immer selbstverständlicher eingefordert werden wird. Peter Eigen, Gründer von Transparency International, ermutigte die versammelten NGOs (Nichtregierungsorganisationen), auf Transparenz zu bestehen und meinte:

Numbers as such do not help, they do not feed children or heal the sick. But numbers are a starting point for activism.

Pilotprojekt zur Transparenz in Entwicklungsprojekten

Pilotprojekt am Start

Pilotprojekt am Start

Ein Pilotprojekt zu Transparenz von Entwicklungsprojekten ist derzeit im Gang. Bericht erscheint voraussichtlich Ende Juni!