Mikrokredite: Medizin oder Gift?
Afro-Pfingsten 2009 in Winterthur war im Jubiläumsjahr 2009 ein Publikumserfolg.
Der Anspruch steigt auch in entwicklungspolitischer Hinsicht: Es geht ja um „Eine Welt“. Er sollte schon am Eröffnungsabend bekräftigt werden: Es gab eine Podiumsdiskussion mit Thema „Mikrokredite“. Nur: die Botschaft kam einseitig Pro heraus, und so scheint es, dass sich der Organisator mit dem heiklen Thema übernommen hat.
Nachdem 2006 Mohammed Yunus, Gründer der Grameen-Bank aus Bangladesh, den Friedensnobelpreis bekommen hat, scheint die Vergabe von Mikrokrediten als vermeintliche Lösung schlechthin für alle Entwicklungsfragen in Mode gekommen zu sein.
So war auch der Eindruck mindestens der ersten Hälfte des Abends: Drei Funktionäre von Finanzinstituten, alle mit „Responsibility“ in irgendeiner Form dekoriert, und ein Vertreter von Worldvision erörterten, „woher das Geld kommt“ und „wohin es geht“. Der Moderator war ebenfalls Vertreter einer Mikrokreditfirma, unter Vertrag mit Swisscontact.
In der ersten Halbzeit hätte man sich in einem Seminar für Bankwesen wähnen können. Es ging um die Attraktivität für Investoren, inklusive von Hilfswerken, die ihre Reserven offenbar gewinnbringend anlegen wollen. Also die Renditen, und die Krisensicherheit. Derzeit –wie geschickt angemerkt wurde- besser als andere Papiere. Auch warum „Mikrofinancing“ ein weiter gefasster Begriff ist als „Mikrokredite“ war zu erfahren (weil mehr Massnahmen enthaltend).
Wohin genau und an wen solche Kredite gehen, war schon weit weniger deutlich. Nicht einmal die Grösse dessen, was als „Mikrokredit“ zu gelten hat, wurde recht klar. Es scheint alles möglich zwischen ein paar Dutzend und ein paar Millionen Dollar. Und sie brauchen offenbar nicht nur für produktive Gewerblerinnen reserviert zu bleiben: Auch für den Konsum, etwa Motorroller und Handys, werden solche inzwischen vergeben.
Zwar erfahren wir, dass Frauen bei weitem bessere Schuldnerinnen seien als Männer (Interessant für Investoren). Und: Mikrokredite müsse man besonders gut managen. Dann brächten sie schon die gewünschte Rendite.
Zumindest für die Mikrokreditfirmen und ihre Investoren. Deren Rechnung scheint zu stimmen. Schliesslich kann man die „hohen Verwaltungskosten“ ja bei den Schuldzinsen draufschlagen. Es ging ein Raunen durch den Saal, als vom ghanaischen Podiumsteilnehmer Pat Dobe zu hören war, dort werde ein Schuldzins von rund 32% verlangt. Allerdings bei einer Inflation von rund 20%, wie schnell nachgeschoben wurde.
Immerhin: World Vision und dann auch andere bestätigten auf Einwände hin, dass Mikrokredite nur als Teil eines gut koordinierten Bündels von Massnahmen sinnvoll seien. Man wisse, dass Mikrokredite nicht geeignet seien, „alle“ Probleme zu lösen.
Aber reicht es, Mikrokredite einfach in “begleitende Massnahmen” einzubetten? Wir meinen: Es sollte auch darüber geredet werden, wo Mikrokredite nicht hingehören. Weil sie -wie jedes Instrument- in gewissen Situationen nicht taugen.
Wer sich in Entwicklungsfragen auskennt, weiss: Mikrokredite können auch zerstörerisch wirken. Sie können etwa durch kulturfremde Monetarisierung traditionelle Solidaritätsmechanismen verdrängen. Falsche Anreize setzen. Und neue Abhängigkeiten und Risiken schaffen. Davon hätte auch die Rede sein müssen.
Aber- wie der Freund aus Ghana so schön zeigte- beim Wort „Risiken“ kamen ihm nur jene für die Bank selber in den Sinn. Zeitungsartikel Landbote mit Interview zum Thema hier Mikrokredite sind oft das falsche Rezept.
Jan Stiefel