Für neue Ansätze in der IZA

Erfreulicherweise gibt es nach und nach Leute, die es wagen, die Unfehlbarkeit der derzeitigen Entwicklungsbranche anzuzweifeln. Einer davon ist Toni Stadler, der in der NZZ einiges Bedenkenswerte geäussert hat:

https://www.nzz.ch/schweiz/einsichten-eines-globalen-nomaden-ld.1414154

Mein Leserbeitrag kam zu spät, darum noch hier:

Erfrischend, dass da einer mit Erfahrung von innen kommt und einiges an Dogmen in Frage stellt, mit denen in der Entwicklungsbranche nur zu gern operiert und neue Ansätze unterbunden werden: „Erbschuld“ des Westens, Migration als „Lösung“, Respekt“ vor Ideologien und menschenfeindlichen religiösen Vorschriften usw.

Ich wünsche mir die Fortführung dieser überfälligen Debatte, die Ideen von Herrn Stadler sind dabei ein erfreulicher Anstoss, wenn auch hoffentlich nicht das letzte Wort!

Jan Stiefel

Atomisiert die Entwicklungszusammenarbeit!

Am 18. August brachte David Signer in der NZZ einen beachtenswerten Beitrag zur Frage, ob die Entwicklungszusammenarbeit ein „Auslaufmodell“ sei. Heute 22.8. soll das Thema in Zürich auf öffentlichem Podium diskutiert werden.

Der folgende Text war als Leserbeitrag gedacht. Nachdem er nach dreimaligem Einsenden nicht erschienen ist, sei er hier, leicht erweitert, eingestellt:

Nach Jahrzehnten von entwicklungsbezogener Tätigkeit in Afrika, Asien und Lateinamerika muss ich sagen: David Signer bringt mit seinen Analysen und Folgerungen wesentliche Fakten zur Sprache, die zwar nicht neu sind, aber in den vergangenen Jahrzehnten mangels Interesse auf der einen, und wegen ideologisch verengter Sicht auf der anderen Seite zu wenig beachtet worden sind. Mein Beitrag wären zwei Anmerkungen:

Zum einen: Es wäre wichtig, „Entwicklungszusammenarbeit“ (EZA) nicht insgesamt für wertlos zu halten. Zusammenarbeit auf Augenhöhe ist immer wünschbar, gerade auch zwischen Menschen unterschiedlicher Mentalität. Ich würde eher präzisieren, dass es vor allem EZA in der heutigen Form ist, die neu durchdacht werden sollte: Derzeit sind es vor allem staatliche Beamtenapparate (in der Schweiz die DEZA), die in letztlich alt-paternalistischer und oft sehr technokratischer Manier abseits der öffentlichen Debatte entscheiden, was für jene „da unten“ das Beste sei. Wenn man die Branche gut genug kennt, weiss man auch, dass die meisten dieser vermeintlichen Experten eher gelernt haben, wie man innerhalb der Entwicklungsbürokratie vorankommt, als darüber, was die „Zielgruppen“ in den Ländern des Südens bewegt. Insoweit ist diese staatlich-bürokratisch gelenkte EZA in der Tat nicht nur ein Auslaufmodell: Sie hat von Anfang an nie richtig funktioniert.

Erinnern wir uns: „Zusammenarbeit“ findet in erster Linie zwischen Menschen statt, und nicht zwischen Institutionen. Kurz zusammengefasst: Der Ansatz, der mir vorschwebt, müsste dem Rechnung tragen durch Beteiligung breiterer Kreise im „Norden“, also hierzulande, an Tätigkeiten der EZA, dies erst einmal durch die vielen NGOs, die es schon gibt, und dann auch zusätzlicher, die noch zu gründen wären: Sie könnten es sein, die mit persönlichem Engagement vor Ort, in nicht unbedingt „grossem Rahmen“ zusammen mit den Betroffenen individuell und auf die lokalen Verhältnisse zugeschnittene Lösungen erarbeiten könnten. Profitieren würden nicht nur die Partner im Süden, sondern auch unsere Gesellschaft, die sich der konkreten Erfahrung vieler ihrer Mitglieder eines realistischeren Blicks auf „die anderen“ erfreuen könnten. Was auch dem derzeitigen politischen Diskurs etwa zu Rassismus und Migration nur gut tun könnte.

Hätte denn Staat und Bürokratie da noch Aufgaben? Sehr wohl. Zum einen müssten geordnete Geldflüsse gewährleistet sein- eine Aufgabe, die zu den Kernkompetenzen jedes beamtlichen Apparates hgehören sollte. Auch das Erfassen von Erfahrungen zwecks Erfolgskontrolle und Verbesserung könnte dazugehören. Zum anderen aber gibt es sehr wohl Aufgaben, die zwischen höheren Chargen in Partnerstaaten durchaus anzugehen wären: Ich denke da vornehmlich an die Gewährleistung von Rechtssicherheit und, wenn möglich, von stabilen demokratischen oder wenigstens damit kompatiblen Strukturen. Vielleicht auch an einen Mindeststandard an Infrastruktur. Sie wären eine wichtige Voraussetzung für die wirksame Arbeit der vielen kleinen NGOs.

Der zweite Punkt folgt aus einem verbreiteten Glauben, der auch im Artikel durchscheint: Es ist jener, EZA vor allem als „Hilfe“ an ganze „Länder“ mitsamt den jeweiligen Regimes zu verstehen. Niemand wird bestreiten, dass es auch in den ärmsten Ländern eine Art Mittelstand und einige sehr „Reiche“ gibt. Weniger bewusst ist man sich, dass es beispielsweise auch in Schwellenländern krasse Armut gibt. Gerade letztere ist ebenso zu bekämpfen wie jene in den ärmsten Ländern, denn beide sind aus Gründen der Menschlichkeit nicht wünschbar. Und wenn das nicht reicht, dann wären sie auch aus Pragmatismus zu bekämpfen, denn sie sind immer eine Quelle sozialer und politischer Instabilität und damit von Risiken für die ganze Weltgemeinschaft.

Hier plädiere ich für eine Abwendung von der stark auf Länder ausgerichteten zu einer weit mehr auf die Lebensumstände bestimmter Bevölkerungsgruppen ausgerichteten Kooperation, wo immer diese zu finden sind. Dazu gehören sowohl arme Kleinbauern in den Anden Boliviens ebenso wie solche am Stadtrand von Delhi, und Slumbewohner in Sao Paulo genauso wie solche in Ouagadougou.

Atomisiert die Entwicklungshilfe heisst: Öffnet die Tore für kleinere, vorzugsweise von Privaten betriebene Kooperationen ohne bürokratische Zwischenschritte. Die Steuerung müsste durch entsprechende transparente Organe vermittelt und öffentlich einsehbar sein. Die erheblichen öffentlichen Finanzen, die jetzt zu grossen Teilen in ineffizienten Bürokratien versickern, wären gezielter verwendet, und trügen allseits zu Lernprozessen bei. Auch bei uns im „Norden“.