KVI: Weltverbesserung per Strafbefehl

Ein Kommentar zur Unternehmensverantwortungs-Initiative

Sarah Palin, nicht eben für komplexe Denk­ansätze bekannte einstige US-Vizepräsidenten-Kandidatin, wurde einmal gefragt, was sie denn über Russland wisse. Sie soll geantwortet haben: Man sehe dessen Küste von Alaska aus, also kenne sie es.

Ähnlich einfaches Denken scheint der aktuellen Unternehmensverantwortungs-Initiative zugrundezuliegen: Man meint, aus der satten Schweiz heraus Zusammenhänge in weit entfernten Ländern gut genug zu verstehen, um zu tun, was man in der Schweiz gerne tut: darüber zu richten. Kein Wunder, geht in der heftigen Debatte vieles unter. Als Beispiele folgende sonst wenig angesprochene Punkte und ein allgemeiner Gedanke:

Zum ersten: Der Initiative fehlt es an logischer Stringenz. Wenn man sich damit vielleicht abfinden muss, dass Misstände in der Ferne vor Schweizer Gerichten verhandelt werden sollen: Warum sollen dann nur gerade (bestimmte) Privatunternehmen in die Pflicht genommen werden, und nicht gleich alle juristischen Personen, die im Ausland tätig sind und in ihrer dortigen Tätigkeit auf vielfältige, oft kaum verstandene Weise Auswirkungen auf Menschenrechte und Umwelt haben, inklusive sogenannt „potentielle“?
Wenn schon, dann wären beispielsweise auch solche der Bau- Reise- oder Tourismusbranche, oder gar Entwicklungsorganisationen mit ihren oft umfangreichen Projekten gerade in besonders armen Ländern einzubeziehen. Fast scheint es, die federführenden Hilfswerke hätten eine Gelegenheit verpasst, auf die sie eigentlich erpicht sein müssten: Nämlich die eigene Sorgfalt und die positiven Auswirkungen ihres Tuns nun nach Verfassungsvorgaben ins rechte Licht rücken zu dürfen. Wie gesagt wurde: Wer anständig wirtschaftet, hat nichts zu befürchten.
Kurz: Ein umfassender Einbezug nicht nur der „üblichen Verdächtigen“, sondern aller betroffenen Kreise wäre konsequent. Fraglich wäre allerdings, ob dann noch viel Zustimmung übrig bliebe.

Zum Zweiten: Kaum je Debattenthema war, dass in jedem Fall „sämtliche Geschäftsbeziehungen“ einer „angemessenen Sorgfaltspflicht“ im Sinn der Initiative zu unterziehen sind. Zu solchen gehören viele Importketten des breiten täglichen Bedarfes. Nur einige mögen beispielhaft genannt sein, um die Problematik anzudeuten, die nach der Annahme der Initiative dann gelöst werden müsste: Wären dann etwa die Tausende km2 Urwald, die für Weiden oder Futtermittel zur Befriedigung unseres Fleischbedarfs oder für Ölpalmenplantagen abgefackelt werden samt Vertreibungen von Indigenen und Kleinbauern usw. gemäss Initiativtext als „geringe Risiken“ einzustufen? Ebensolches gilt für Rohstoffe, von denen es neben den stets erwähnten Seltenen Erden viele gibt: Edelhölzer, Textilien, cash crops wie eine ganze Reihe von mehr oder weniger exotischen Gemüsen und Früchten, durch deren Export Landwirtschaftsflächen in den Ursprungsländern knapp und Preise für die lokale Bevölkerung ins Unbezahlbare gesteigert werden. Wie steht es um die Hochsee-Überfischung, wie um die zahllosen Fisch- und Garnelenzuchten, die weltweit daran sind, Oekosysteme wie etwa Mangrovenwälder zu verdrängen?

Alles harmlos, oder hat einfach keiner daran gedacht? Hand aufs Herz: Es wären nicht nur ein paar «Konzerne» betroffen. Wenn konsequent umgesetzt, hätte das mächtig Auswirkungen auch auf Geldbeutel und gewohnten Konsum jedes einzelnen von uns hier in der Schweiz! Um im Bild zu bleiben: Man stelle sich etwa die jeweiligen „Sorgfaltsprüfungen“ allein etwa von Grossimporteuren wie Coop oder Migros vor, die gemäss Initiative eigentlich fällig wären..

Zuletzt ein persönlicher Gedanke: In einer Verfassung erwarte ich Aussagen, welche die wichtigsten Grundregeln eines Themas oder einer Problematik in ausreichend allgemeiner und damit allgemeingültiger Weise ausdrücken, um nicht nur im politischen Tagesgeschäft, sondern auch noch in Jahrzehnten nach uns Bestand zu haben. So ist unsere Verfassung in weiten Teilen gehalten. Dieser Text aber reiht sich ein in Einschübe aus den letzten Jahren, deren Herkunft aus der Tagespolitik nur zu sehr daran erkennbar ist, dass Wünsche oder Vorbehalte einzelner politischer Akteure eher am Rand des politischen Spektrums deutlich im Vordergrund stehen. Zu diesen gehören namentlich die auf Ausländer zielenden Ausschaffungs- und Begrenzungsartikel samt Durchsetzungsversuch (Verfassung Art. 121 und 121a). Sie kamen bisher von rechts. Nun scheint man anderswo auf den Geschmack gekommen zu sein, dem einen weiteren, ebenfalls partikularem Zeitgeist und der Suche nach Sündenböcken verpflichteten Fremdkörper folgen zu lassen.

Respekt für Menschenrechte und Umwelt ist ehrbar. Die Initiative jedoch erzeugt mehr Fragen und Unsicherheiten als sie zu lösen verspricht. Der Initiativtext wirkt pharisäerhaft, denn er stellt selektiv unter Verdacht und belegt gerade in seiner Länge und in seinen ungelenken Definitionsversuchen eines: Er ist nicht gut durchdacht und damit nicht würdig, Teil der Verfassung zu werden.

Jan Stiefel, 16. Nov 2020

Stellungnahme IDEAS zur Vernehmlassung Schweizer Entwicklungszusammenarbeit 2021-2024

Stellungnahme IDEAS AidRating

Zürich, den 23. August 2019

Kontaktperson: Elvira Prohaska, Jan Stiefel;  +41 52 203 52 50

Vorbemerkung

Mit dieser Stellungnahme soll im Rahmen der Möglichkeiten unseres Vereins auf jene Punkte eingegangen werden, die wir für die wichtigsten halten. Da wir es für nötig halten, weit über die Vernehmlassungsthemen hinausgehend die ganze IZA- Branche transparenter und effizienter zu strukturieren, ist im zweiten Teil unter „Weiterführende Anmerkungen“ ein mögliches Konzept zur Verwirklichung skizziert.

Auch wenn eine oder mehrere der in der Vernehmlassung beschriebenen Prioritäten oder Massnahmen plausibel und vielversprechend klingen, so muss doch gewarnt werden: Vieles davon klingt reichlich papieren und wie geschrieben von Theoretikern an ihren Schreibtischen, die sich die Auswirkungen ihrer Forderungskataloge in der Realität kaum vorstellen können. Es sind nicht Sandkastenspiele, um die es geht, sondern Menschen. Brüske und bisherige Arbeit plötzlich abbrechende Veränderungen bringen das Risiko, dass eines Tages, wenn sich andere oder vielleicht doch die vorherigen Ansätze als besser erweisen, diese zerstört sind oder dass zumindest nicht ohne grosse Verluste darauf zurückgekommen werden kann.

Fragestellungen im Begleitschreiben

Die folgenden Bemerkungen nehmen in Kurzform Bezug auf die konkreten Fragestellungen im Begleitschreiben vom 2. Mai 2019:

Es sind grundsätzliche Vorbemerkungen, die angesichts der bürokratischen Sprache im erläuternden Text nötig sein könnten. Sie beziehen sich vor allem auf die bilaterale Zusammenarbeit, können aber wegen der gegenseitigen Überlappung auch bei humanitärer Hilfe eine Rolle spielen:

  • Ohne vertiefte Kenntnis der Problemlage in allg. Umfeld und spezifisch vor Ort kann keine sinnvolle Intervention geplant werden. Rechtslage, Akteure, Rechtssicherheit, Akzeptanz, Nebenwirkungen usw. Das betrifft auch Fragen von Flexibilität wenn sich zeigt, dass Ziele oder Methoden nicht angepasst oder wirksam sind.
  • Rein technische oder ökonomistische Ansätze bewirken selten das Geplante, haben aber oft schädliche Nebenwirkungen.
  • Nicht glauben, „mehr“ sei besser. Projekte und Programme können durch zu viele „Mittel“ (Geld, Ausrüstung) auf vielerlei Weise schaden. Sie können namentlich lokale Ansätze, die vielleicht wenig sichtbar sind, verdrängen, oder auch Bemühungen, Dinge mit eigener Kraft aber vielleicht aus unserer Sicht „primitiveren Mitteln“ „totentwickeln“.
  • Bei der Problemanalyse und Prioritätensetzung spielt hier wie „dort“ die Interessenlage derer, die daran beteiligt sind, eine sehr grosse Rolle: Ökonomen wollen „wirtschaftsfördernde“ Investitionen, Professoren wollen Doktoranden, andere wollen die „Umwelt besser schützen“, Ingenieure wollen Maschinen, Strassen und Röhren, usw. Priorität hat stets das, was man selber „kann“ und wofür man daher auch am ehesten Chancen hat, Gelder gesprochen zu bekommen. (s. Beispiel Rendezvous Radio SRF vom 22.8.19).
  • Jeder Abschnitt ist mit einer kurzen Einschätzung dazu versehen, wie die Zielsetzung den Schweizer Interessen und denen der Bevölkerung vor Ort entspricht. Gering- mittel- hoch- sehr hoch

Frage 1 Entsprechung der Ziele mit den Bedürfnissen etc.

Bezug Arbeitsplätze:

Es ist nichts dagegen zu sagen, dass mehr Arbeitsplätze wichtig sind, wenn es an solchen fehlt. Man kann aber nicht hingehen und sagen: Geht hin und schafft Arbeitsplätze! Wir sähen gerne jene, die so etwas auch verwirklichen können. Dass in der verbeamteten Schweizer Entwicklungsszene jemand das kann, ist für uns am allerwenigsten vorstellbar.

„Arbeitsplätze schaffen“ ist ein Endergebnis aus unzähligen Vorbedingungen: Ausreichende Rechtssicherheit, Vorhandensein der richtigen Vorprodukte zur richtigen Zeit (da fängt’s schon an), Leute mit den richtigen Kompetenzen (ausbilden), Absatzwege mit ausreichend Attraktivität auf lange Sicht (Partner, Handels- und Gewerbefreiheit), Wachstumsmöglichkeiten, Unternehmergeist (keine Kernkompetenz der Schweizer IZA, wie wir sie kennen).. auch Kapital und Produktionsmittel. Die letzteren zwei kann man vielleicht mit Geld rasch beschaffen, alles andere sind Projekte für sich allein.

Das heisst: Es braucht alle möglichen Fähigkeiten und Teilprojekte, die zusammen dann eines Tages vielleicht zum Erfolg führen. Wir haben selber so etwas im Kosovo versucht und können ein Lied davon singen. Die jetzige Schweizer IZA könnte allenfalls Geld, Produktionsmittel und vielleicht Ausbildungsinstitutionen beisteuern, womöglich etwas im Bereich Rechtssicherheit.

Für alles andere liegen die Kompetenzen fast ausschliesslich im „Privatsektor“, sprich: Bei unternehmerisch denkenden Leuten. Man kann solche vielleicht finden, sollte sich aber hüten, ihnen eine Menge theoretische Wunschträume aufzudrängen, denen sie zu genügen haben. Sonst sind sie bald wieder weg. Träume etwa von „Fokus auf Jungunternehmer“ und „Startups“, von „innovativen Finanzierungsinstrumenten“ oder davon, früh beurteilen zu können, welche Unternehmen „erfolgversprechend“ seien, wecken Zweifel, ob die Schreibenden wussten, wovon sie reden.

Entsprechung mit Interessen:

-der Bevölkerung: hoch

-der Schweiz: hoch

Bezug Klimawandel:

Am sinnvollsten und dringlichsten dürfte sein, dass geholfen wird, die Folgen des Klimawandels besser abzufedern bzw zu ertragen. Das betrifft wohl v.a. Land- und Forstwirschaft, dann auch Ressourcenpflege (Schutz für Vegetation, Wälder, Küsten, Binnengewässer.. etc). Allenfalls auch Schutz vor Gewässer- und Luftverschmutzung durch klima- und ressourcenschädliche Aktivitäten.

Der Alltagsnutzen für die Bevölkerung vor Ort sollte der Fokus sein. Auf keinen Fall sollten IZA-Ressourcen dazu missbraucht werden, die Schweizer CO2-Bilanz durch angebliche „Umweltprojekte“ in diesem Gebiet (z.B. Brennstoffe u.ä.) aufzupolieren.

Also weg von Projekten, wo Menschen quantitativ unbedeutendes CO2-Sparen beigebracht wird, während ihre grösseren Sorgen unbeachtet bleiben. Von anderen vielversprechenden Ansätzen ist im Vernehmlassungspapier nichts zu sehen, man wüsste gern, wofür genau die 350 Mio fliessen sollen, und für was für „klimaverträgliche Investitionen“ und wie da mehr „private Gelder mobilisiert“ werden sollen.

Das Gros der Massnahmen sollte da stattfinden, wo die grössten Verursacher sitzen, und das ist meist bei uns in Industrieländern und bei von uns verantworteten Wirtschaftstätigkeiten. Hier sollte auch das Gros der Schweizer Investitionen erfolgen. Und dies ganz ohne Missbrauch von IZA-Geldern dafür.

Entsprechung mit Interessen:

-der Bevölkerung: gering (ausser Resilienzhilfen, dort hoch)

-der Schweiz: hoch (wegen polit. Widerständen geg Massnahmen bei uns)

 

Bezug „Grundversorgung“ und Migration:

Migration liesse sich am ehesten vermindern, wenn der Sog vermindert würde, der durch Attraktivität eines Lebens in Industrieländern entsteht, und wenn den Menschen etwas „gegeben“ wird, das bei ihnen Selbstbewusstein und das Vertrauen in eine selbstbestimmte Zukunft in ihrem eigenen Umfeld/Land belebt.
Der Sog hat viele Ursachen. Mehr Arbeitsplätze vor Ort sind möglicherweise eines, aber nicht das einzige denkbare Mittel dagegen. Lebensqualität und Perspektiven für die Menschen jeden Alters wären hier die Hauptelemente, die wiederum in alle anderen Ziele mit hineinspielen (und auch über die eng wirkende Sichtweise, die sich hinter diesem Ziel verbirgt, hinausgehen.) Da etwas zustande zu kriegen, wäre der Mühe wert.

Es braucht aber nicht rundweg als „egoistisch“ abgetan zu werden, wenn Minderung der „wirtschaftlich bedingten“ Migration hier als Teilziel angestrebt wird. Das Problem beschäftigt viele Menschen hierzulande. Anstatt Millionen jährlich in die Branche „Sensibilisierung“ zu stecken, hätte man hier Gelegenheit, die Akzeptanz für mehr IZA hierzulande erheblich zu steigern: Durch glaubwürdiges Aufzeigen von Erfolgen in diesem Gebiet durch gut geplante, partizipative, flexible, nachhaltige Projekte und Programme. Die Schweizer Entwicklungsbranche müsste allerdings zeigen, dass sie dazu fähig ist.

Entsprechung mit Interessen:

-der Bevölkerung: hoch

-der Schweiz: hoch

 

Bezug Rechtsstaat:

Rechtsstaatlichkeit und Rechtssicherheit sind eine der wichtigsten Voraussetzungen, dass Menschen es als lohnend betrachten, sich vor Ort eine Zukunft aufzubauen. Da wäre in der Tat wohl viel Kompetenz in der Schweiz vorhanden, von Gemeinde- bis Bundesebene. Der Bezug scheint uns unterstützenswert.

Dies wäre wesentlich eine Aufgabe für staatliche Schweizer Stellen: Mit oft unwilligen Entscheidungsträgern muss über Jahre Tacheles geredet werden, samt möglichen Massnahmen u Konsequenzen. Der Diplomatenstatus der Koordinatoren und auch der diplomaten-ähnliche vieler Expats bringt dabei gewissen Schutz. Dies wäre durch die Beamtenschaft beim Bund besser und mutiger abzudecken. Forschungseinrichtungen und Thinktanks könnten beim Entwickeln von Konzepten und bei entsprechenden Bildungstätigkeiten wichtig sein.

Entsprechung mit Interessen:

-der Bevölkerung: sehr hoch

-der Schweiz: sehr hoch

Weiteres:

Privatsektor-Zusammenarbeit:

Es ist richtig, dass der „Privatsektor“ der wichtigste Motor wirtschaftlicher Entwicklung ist, namentlich wenn ausreichend Rechtssicherheit und Infrastruktur bestehen. Dazu gehören Einzelpersonen bis hin zu Grossunternehmen. Es mag auch gut sein, wenn hier Investitionshilfen und Risikogarantien vergeben werden sollen.

Die Bundesstellen sollten sich ausser bei grundlegenden Anforderungen mit Versuchen zu Regulierung und Lenkung jedoch möglichst zurückhalten, denn das dürfte eines der wichtigsten Hindernisse sein, die Unternehmer von einer „Zusammenarbeit“ mit Bundesämter abhält. Das wichtigste aber wäre, und das wäre für alle beteiligten Bundesämter ebenso wie die Politik, dafür zu sorgen

  1. Dass Produzenten in den Zielländern möglichst ungehinderten Zugang für ihre Produkte und Leistungen zum Schweizer Markt bekommen
  2. Dass allenfalls nicht erkannte aber unnötige Handelshemmnisse möglichst identifiziert und abgebaut werden
  3. Dass Engpässe bei Kompetenzen für bessere Prozesse, bessere Qualität usw angegangen werden, sowohl technisch als auch beim Bereitstellen von angepassten beruflichen Bildungsmöglichkeiten, inkl. Austausch mit der Schweiz.

Dies bedeutet auch, dass die Arbeit nicht nur in den EL, sondern auch in der Schweiz zu leisten ist.

Entsprechung mit Interessen:

-der Bevölkerung: hoch

-der Schweiz: hoch; braucht jedoch politische Überzeugungsarbeit

Frage 2 Entsprechung der Schwerpunkte mit den Bedürfnissen etc.

Wir haben die Frage nach Schwerpunktsetzung als weitgehend analog mit der zu den „Zielen“ interpretiert und möchten unsere Aussagen als auch auf diese bezogen verstanden wissen.

Frage 3 Vorgeschlagene geografische Fokussierung etc.

Wir bezweifeln, dass es in der OECD-Beurteilung um die „geografische“ Verzettelung ging, als dieser Punkt angemahnt wurde. Wenn man die Listen der Aufträge und „Beiträge“ der letzten Jahre sieht, kann man ebensogut von inhaltlicher Verzettelung sprechen. Geld wird für eine Menge Dinge ausgegeben: Veranstaltungen, Institutionen, deren Arbeit direkt kaum, aber vielleicht irgendwann etwas Positives bewirken könnte; Filme, Theater, sogar die Städtepartnerschaft Zürich-Kunming scheint hier wichtigen Bedarf zu haben. Man kann sich da einiges an Straffung vorstellen.

Oder ist die OECD „konsequent“ und empfiehlt allen Gebern nur noch IZA in Ländern, bei denen man aktuell oder künftig eigene Interessen sieht, wie in Asien oder Afrika (ohne Madagaskar)? Kaum vorstellbar. Weiter: Wie kommen wir dazu, auf Grundlage einer derzeitigen Krisenlage zu wissen, was in den kommenden Jahren an neuen grossen Herausforderungen auf uns zukommt? Woher wissen wir, welche Länder in 10 oder 20 Jahren am Abgrund stehen, und wie sich das auf uns auswirken kann (denn darum geht es hier ja)? Wie werden sich die Menschen in den Ländern fühlen, wenn sie erfahren, dass sie hier „zweite Wahl“ geworden sind? Und wie wollen wir dann schnell reagieren können, wenn etwas dringlich wird, unser Staat aber die Brücken zu einer ganzen Weltregion abgerissen hat? Mit anderen Worten: Wir sollten uns hüten, zur Beschwichtigung kurzfristiger Aufregungen bei uns in gewissen Weltregionen mit mehr IZA-Geld klotzen, und andere beiseiteschieben zu wollen.

Wir haben schon in früheren Jahren den Eindruck gewonnen, dass die DEZA oft Länder mit IZA bedienen, dennen es vergleichsweise gut geht, und andere nicht, bei denen es schlechter steht.

Auch in der geplanten Verteilung (Erläuternder Bericht S 15, 23) scheinen Länder mit schlechterer Lage für die Menschen, z.B. Madagaskar, in LA Haiti, Bolivien herauszufallen, während vergleichsweise bessergestellte dabei sind: Südafrika, Ghana, auch Indonesien, Vietnam. Dies betrifft vom SECO betreute Länder. Es mag Gründe dafür geben, aber diese erscheinen im vorliegenden Papier nicht wirklich verständlich gemacht.

Es gibt noch etwas anderes: Den hartnäckigen Glauben, dass mehr Geld zu besserer oder mehr Entwicklung führen könne, haben wir noch nie verwirklicht gesehen. Vielmehr haben wir Länder gesehen, gerade in Afrika, in denen sich Geber darum stritten, wer welches Projekt durchführen oder Vorhaben fiinanzieren darf, oft mit der Folge, dass das Gegenüber gern den „Preis“ hochschraubte, sehr zum eigenen persönlichen Vorteil.

Weiterführende Anmerkungen

Von unserer Seite wird seit längerem angemerkt, dass die Schweizer IZA zuwenig ergebnisorientiert, zusehr von Klientelwirtschaft geprägt, und zuwenig transparent ist. Auch die monierte „Verzettelung“ sehen wir weniger im geografischen Sinn als darin, dass die zuständigen Behörden zuviele Gelder abdelegieren für eine Unmenge von Tätigkeiten und Werke, deren Nutzen sowohl nach Empfängern als auch im Sinn der IZA-gesetzlichen Ziele mehr als fraglich sind. Es sieht aus, als gäbe es zuwenig eigene Fähigkeit, gute Projekte zu konzipieren und diese zu betreuen.

Den Kern der Problematik sehen wir darin, dass in der Verordnung zum Gesetz die Zuständigkeit simplistisch an eine oder zwei Bundesstellen ausgelagert wurden, deren ausgeufertes Streben nach immer umfassenderen Kompetenzen durch kein wirksames Gegengewicht in Form von brauchbaren Kontroll- und Überwachungsmechanismen im Zaum gehalten wird. Es hat sich ein breiter Speckgürtel von Personen und Institutionen herausgebildet, in dem man sich daran gewöhnt hat, einen grossen Teil der verfügbaren Finanzen bequem zu absorbieren. Damit und neben der obligaten Rolle als Apologeten des Status quo hat man versäumt, international konkurrenzfähig zu bleiben- was sich am geringen Anteil von Aufträgen ausländischer Stellen an Schweizer NGOs gegenüber dem wachsenden Anteil der Auf- und Beiträge an ausländische NGOs und Entitäten mit Bundesgeldern ablesen lässt.

2016 wurden 16% aller Aufträge in EU-Länder oder nach Nordamerika vergeben. Im Sinn einer „Fokussierung“ könnte man versuchen, auch die Konkurrenzfähigkeit von Schweizer Bietern mehr zu pflegen, damit dieser Anteil nicht weiter wächst:

Grafik 1: Auftragsvergaben DEZA IZA inkl humanitäre Hilfe 2016:

 

Wir meinen: Der Blick und besonders der Zirkel der bekannten Akteure sollte geweitet werden für viele mehr, die ihren Beitrag am Gelingen der Schweizer IZA leisten möchten. Dazu gehört nicht, ausgewählte Gross-NGOs weiter zu bevorzugen, sondern die Kompetenzen von Schweizer Anbietern zu pflegen durch equitablen Zugang. Zur im Bericht genannten „Pluralität“ gehörte dann auch, dass auch solche Organisationen beteiligt sind, die mit anderen oder kritischen Haltungen als denen der über die Jahre gepflegten Hauptakteure, die Umsetzung der IZA- Ziele die Menschen voranbringen wollen.

Neuorganisation der Zuständigkeiten

Die trübe Sachlage könnte durch Neuorganisation auf Basis einer revidierten Verordnung bereinigt werden, dies zudem vielleicht ohne übermässige politische Querelen, da in eigener bundesrätlicher Kompetenz.

Mit dem vorgeschlagenen Einladungs-Wesen kann der Druck vermindert werden, aufwendige Pflichtenhefte für ebenso aufwendige Ausschreibungen zu veranstalten. Auch „Unter-der-Hand-Aufträge“ und ebensolche „Beiträge“, bei denen man sich solchen Aufwand spart, könnten vermieden werden. Ein paar Grundprinzipien und als Beispiel ein mögliches Konzept der Verwirklichung werden hier kurz skizziert:

Grundprinzipien:

  • Basis IZA-Gesetz, von Schweiz anerkannte int. Entwicklungsziele und int. anerkannte Normen für Arbeitsweise und Rechnungslegung
  • Gleichwertiger und breiter Zugang für alle Akteure mit ausreichenden Kompetenzen (wie unten beschrieben) in Datenbank
  • Schwergewicht auf „Projektvorschlägen“ und nicht auf „Ausschreibungen“ oder „Beiträgen“.
  • Gleichbehandlung durch periodische strukturierte Auslosungsverfahren
  • Normierte Bewertung: Erlangtes Ergebnis in Bezug auf verwendetes Budget: Bestanden ja/nein
  • Minimale Bürokratie, u.a. durch standardisierte Verfahren, z.B. Teilnahme- und Bewerbungskriterien für Projektanträge, Einbezug der Fähigkeiten der Bieter

Teilnahmeberechtigte Akteure:

  1. Einzelperson als „Experte/Expertin“..
  2. In der Schweiz im HR eingetragene NGOs und Firmen..
  3. Im betreffenden Zielland im HR oder gleichwertig eingetragene NGO oder Firma, vertreten durch Schweizer Einzelperson (Experten) oder NGO..

.. welche einem einfach gehaltenen Katalog von Mindestanforderungen zu Einstieg genügen und dadurch zugelassen sind: Ausbildung, Leumund, Erfahrungen.

Zugelassene Akteure werden in eine Liste (Datenbank) für die ihren Kompetenzen entsprechende Kategorie aufgenommen. Diese Liste wird mindestens einmal jährlich, eher öfter, aktualisiert (Ausscheiden, Neuzulassung, Kategoriewechsel).

Elemente:

1.    Plenum

Das „Plenum“ ist eine mind 1x jährliche Zusammenkunft aller zugelassenen Akteure. Bei dieser Zusammenkunft werden Erfahrungen ausgetauscht, die jeweiligen Listen von Mutationen verabschiedet und sonstige im Ablauf notwendige Entscheide per Mehrheitsentscheid getroffen. Das Plenum wählt alle 2 Jahre die zu erneuernden Mitglieder des Gremiums.

2.     „Expertenrat“ oder „Gremium“

Das „Gremium“ besteht aus 10 Mitgliedern. Mitglieder müssen in Ausbildung und Kompetenzen mindestens der Kategorie A entsprechen. Das Gremium

  • Entscheidet über Kategorie-Einstufung der Akteure, auf Grundlage Empfehlung durch „Sekretariat“
  • Entscheidet über Zulassung zu Verlosungsverfahren
  • Entscheidet über Bewertung der Ergebnisse bei Abschluss
  • Kann spezifische Ausschreibungen in Auftrag geben (auch Evaluationen)
  • Verfügt über ein Sekretariat
  • Amtsdauer: 4 Jahre. Maximal 2 Amtsdauern
  • Präsidium: Wahl durch Gremium; Amtsdauer 2J. Stichentscheid
  • Teilwahlen alle 2 Jahre: 5 Mitgl. Zeitpunkt Parl. Wahlen, 5 zu Midterm Periode Budgetbeschluss

Überblick „Gremium“:

Mitglieder Wahl
2 Vertreter/innen Bundesämter Ernennung Bundesrat
2 Vertr. Hochschulen Hochschulen/ Bundesrat?
2 Vertr. grosse Hilfswerke Konsensvorschläge HW, Wahl Plenum
2 Vertr. kleine Hilfswerke Konsensvorschläge kleine HW, Wahl
2 Vertr. Privatwirtschaft/ Zivilgesellschaft Kandidaturen frei; öffentlich, Wahl Plenum
Sekretariat: DEZA-SECO-Abteilung
Protokolle und Berichte öffentlich zugänglich (Dokumentationsstelle, Homepage)
Anforderung und Aufgaben Akteure bei Ausführung
Aufgabenbereiche Anforderungen an Ausführende Zugelassen zu: Kriterien
Bearb. technische Teilthemen, Junior-Mitwirkung in Missionsteams (Evaluationen, tech. Beratung, Planungen usw); Umfang max 50‘000.- „C“:  in Datenbank registriert auf Basis v. professionellem Grundprofil Datenbank-Lotterie „C“ Grundprofil in Datenbank;

Kompetenzen für jeweilige Aufgabe vorhanden

Single Expert oder Team Leader an Missionen, Teilaufgaben an Projekten, Bearb. Teilthemen: max  Fr 230‘000.-; Dauer max 1 J „B“: „C“ plus regionales/prof. Profil mind. 3 „erfolgreiche“ Missionen oder mind 2 J Felderfahrung Datenbank-Lotterie „B“ Sachorientiert erfolgreiche Kooperation; Wirkung
Projekte vor Ort mit konkreten Zielen im Sinn von Prioritätsbereich gemäss Gesetz; Dauer (Phasen von bis 3 (max 4) Jahren. Über Fr 230‘000.-/J „A“: Erfolgreiche Offerte; Lead Agent mit mindestens Profil B mit mind 2 Jahren in Lead-Position „Gremium“/ Projektleitung/ Team Leader Evaluationen Lotteriestufe „A“ Beabsichtigte Wirkung, kooperative Qualität vor Ort, Kosten
Finanzen, Buchführung, Administration

Finanzen, Buchführung und Administration aller Vorgänge werden durch die bisherigen Bundesämter betreut. Delegierte der Bundesämter können als „Akteure“ registriert werden, mit den selben Rechten und Pflichten gemäss ihrer zugesprochenen Kategorie.

Dokumentation

Projektdokumente (Planung, Zwischenberichte, Schlussberichte werden klassifiziert und zur Pflege der Erfahrungen in Dokumentationszentrum abgelegt. Aufgabe der bisherigen Bundesämter

Evaluation

Externe Evaluationen werden stichprobenartig durch Gremium oder auf Antrag Plenum durchgeführt. Berichterstattung geht in die Dokumentation. Lead mind Kategorie A, Team mind Kat B.

Schiedsgericht

Zum Vermeiden von Rechtsstreit wenn notwendig, extern

Ethikstelle (Ombudsstelle)

Ethisch problematische Fragen, Bsp Korruption, Missbräuche u.a. werden von dieser behandelt, mit Empfehlung an Plenum. (könnte existierende externe Stelle sein)

 

 

 

Entschädigung:

„Gremium“: Monatshonorar

„Plenum“: Spesen b Teilnahme

Durchführende: CH, CH-Personal: Löhne nach üblichen (CH)-Sätzen bzw gemäss Ortsüblichkeit

Abläufe:

  • Entgegennahme von Projektvorschlägen: jederzeit, Auswahl für zeitlich folgende Lotterie. Danach muss Neueinreichung erfolgen
  • Lotterien: Alle 3 Mt
  • Aktualisierung Datenbasis für Akteure: Alle 3 Mt
  • Sitzung „Gremium“: Mind alle 3 Mt
  • Sitzung „Plenum“: mind 1x/Jahr
  • Ersatzwahl „Gremium“: alle 2J die Hälfte der Mitglieder

 

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(C) IDEAS 23. August 2019

Schweizer IZA am Scheideweg

Im neuen Plan soll Lateinamerika weggelassen werden. Geht es uns nichts mehr an? Bild: Hafenstadt Buenaventura, Kolumbien.

Wir haben zu lange einen undurchsichtigen Apparat weniger Bürokraten und Insider das Thema besetzen lassen, an deren Arbeit und Ergebnissen vielerlei Zweifel möglich und erlaubt sein müssen.

Der folgende Text ist heute am 28. Juni 2019 leicht gekürzt als Gastkommentar in der NZZ erschienen. Wir erwogen kurz, ihn mit dem Titel „Bad Governance bei der Schweizer IZA“ zu überschreiben, was in unseren Augen eine gute Zusammenfassung der Zustände wäre.. Wir entschieden uns dagegen, weil uns die Perspektive, eine Verbreiterung des IZA-Gedankens unter NGOs und in der Öffentlichkeit anzustreben, wichtiger erschien.

Wir würden uns eine rege Debatte und selbstverständlich auch Kommentare hier wünschen. Gerne hätten wir Rückmeldungen von NGOs, die am Entstehen einer möglicherweise gemeinsamen Stellungnahme zur Vernehmlassung interessiert sind:

Am 2. Mai hat der Bundesrat den Bundesbeschluss zum Vierjahresplan 2021-24 zur Entwicklungszusammenarbeit (IZA) in die Vernehmlassung geschickt. 40 Jahre lang war das eine Routineangelegenheit. Auch der Etat ist stetig angewachsen, auf inzwischen rund 3 Milliarden/Jahr.

Warum nun eine Vernehmlassung? Wurden die bisherigen Anträge nicht jahrzehntelang im Parlament abgenickt, weil Ziele und geleistete Arbeit für alternativlos richtig galten?

Erstmals seit 1976 sollen sich nun breite „interessierte Kreise“ äussern können. Nicht mehr einzig die „üblichen Verdächtigen“. Hintergrund kann nur ein Unbehagen sein, sodass endlich jemand mehr wissen will. Wird wirklich das Bestmögliche getan? Die Frage ist nur zu berechtigt, angesichts der Weltlage und bisheriger Erfahrungen ist es höchste Zeit, die Routine zu durchbrechen. Wie weiter mit der Schweizer Entwicklungszusammenarbeit?

Die vorgestellten Thesen werden noch zu reden geben. Hoffentlich äussern sich viele, die das Thema kennen, aber nie gefragt wurden. Dazu zählen namentlich die vielen kleinen Hilfswerke, die bis jetzt ohne öffentliche Hilfe tätig waren. Die Frist läuft bis 23. August. Man sollte sie nutzen, denn dass nach 43 Jahren erstmals eine öffentliche Debatte zu Inhalten und Vorgehen in der IZA gewagt wird, ist ein Schritt in die richtige Richtung. Nur: das Problem besteht im System selber. Nicht im EZA-Gesetz von 1976. Es ist kurz und hält in Grundzügen fest, was noch heute gelten darf.

Die Verordnung zum Entwicklungshilfegesetz hat ein Königreich geschaffen

Der Fehler liegt in der bundesrätlichen Verordnung von 1977 dazu. Sie bestimmt gleich im ersten Artikel, welche Bundesämter zuständig sein sollen, samt breitesten Kompetenzen. Dies ist in erster Linie die damals neu zu gründende heutige DEZA. Staatspolitisch naiv, weil ohne wirksame checks und balances, aber bei wenigen Millionen jährlich vielleicht verständlich.
Was wurde daraus? Fazit nach 40 Jahren: Mit der Vervielfachung des Budgets und daraus folgenden Verflechtungen hat sich dieses obrigkeitsgläubige Konzept nicht nur überlebt, sondern in einer Weise pervertiert, wie man es sonst nur aus autoritären Staatsgebilden kennt: Ein abgeschottet unnahbarer Apparat ist entstanden. Er kontrolliert die gesamte IZA-Tätigkeit und die Finanzen dazu. Mit Blick auf den Kranz der davon abhängigen NGOs und Institutionen sieht das demokratisch aus, aber nur ganz Wenige haben die Kontrolle: Die „Behörde“ bestimmt nach Gutdünken, wer Aufträge erhält und wer nicht, welche NGOs und Institute Beiträge bekommen, und immer: wieviel an Geldern wo zugeteilt wird. Alles unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Wer nicht spurt, bekommt nichts. Fokus sind nicht Länder in Not, sondern Interessengruppen in der Schweiz: Wo es passt, werden scheinbar eigenständige NGOs gegründet, etwa zum Zweck der Geldverteilung in ausgewählten Regionen. Andere werden still und leise fusioniert, wenn sie trotz Bundesmillionen nicht zurechtkommen. Man setzt die eigenen Leute auf Positionen in internationalen Organisationen wie OECD, Weltbank, usw. und nimmt Einfluss auf die Bestallung zahlloser Forschungs- und Lehrpositionen. Wen wundert, dass all die Beglückten stets das Loblied der Schweizer IZA singen? Anderes hätte unverzüglich Streichung von Geldern oder das Ende der Karriere zur Folge. Trotz feudaler Strukturen hat es die DEZA fertiggebracht, in der Schweiz als Inbegriff guter IZA schlechthin zu erscheinen.

Die jetzt vermeintlich neuen Ziele werden nichts ändern. Der Staat im Staate bleibt. Und dies in der zutiefst demokratischen Schweiz? Anderswo gelten dergleichen Zustände als typisch für „Bad Governance“. Sind zu viele für die Missstände blind, weil sie immer noch an den Mythos der „humanitären Schweiz“ glauben wollen?

Die gute Nachricht ist: Der Bundesrat könnte die Verordnung in Eigenregie jederzeit so ändern, dass ein brauchbares Konzept daraus würde. Ein solches sollte sachgerechtere Rahmenbedingungen schaffen zum Vollzug des Gesetzes: Niedrigere Hürden zur Beteiligung breiterer Kreise, Gewaltenteilung und wesentlich mehr Transparenz. Ämter wie die bisher fast alles bestimmende DEZA bekämen klare Aufgaben: Verwaltungstechnische Betreuung und Koordination.

Wir brauchen IZA. Unseretwegen

Internationale Zusammenarbeit ist nicht ein banales Routinegeschäft wie viele, das an eine Verwaltungseinheit ausgelagert und dann vergessen werden kann. Sie ist, mindestens so sehr wie die Lösung der Klimaproblematik und weiterer grosser Herausforderungen, eine gesellschaftliche Aufgabe, die uns alle angeht, denn sie ist mit allem anderen verbunden. Dabei hilft, vielfache Beziehungen zu anderen Ländern und ihren Menschen zu pflegen. Es täte unserem politischen Diskurs dringend gut, wenn mehr Menschen hier die Wechselwirkungen mit dem Leben Ungezählter in anderen Erdteilen besser verstehen könnten. Und was kann solches Verständnis mehr fördern, wenn nicht konkrete Auseinandersetzung vor Ort?

Medien und Internet liefern viele, auch falsche Bilder und Interpretationen. Wir brauchen mehr denn je einen sicheren inneren Kompass, um uns im Widerstreit der Ideologien zurechtzufinden und uns zu behaupten. Nicht weil wir technisch und moralisch überlegen sind, braucht es IZA. Es sind wir alle, die diese brauchen, um uns der Realität am anderen Ende der Welt auszusetzen und so die Bodenhaftung zu bewahren. Unsere Gelder und Technologien sind der kleine Preis, den wir zahlen. Es sollte uns daran gelegen sein, dass möglichst viele aus unserem Land im Lauf unserer beruflichen Laufbahn wenigstens zwei, drei Jahre weit weg von unserem Dunstkreis in der Ferne mit dem auseinandersetzen, was dort Sache ist.

Verzetteln wir uns!

Damit etwas besser wird, braucht es Vielfalt und Widerspruch. Und zwar hier bei uns. Wir haben zu lange einen undurchsichtigen Apparat weniger Bürokraten und Insider das Thema besetzen lassen, an deren Arbeit und Ergebnissen vielerlei Zweifel möglich und erlaubt sein müssen. Wir sollten lernen, IZA hierzulande auf eine viel breitere gesellschaftliche Basis zu stellen. Mehr Beteiligte, mehr an dringend benötigten Ideen. Es gibt Viele, die bereit wären sich zu engagieren, wenn sie nur Gelegenheit und Anleitung hätten. Beteiligen wir sie, es ist möglich. DEZA & Co. sind nicht der Vatikan, und ihre Experten sind ebensowenig unfehlbar wie der Papst.

Wo bleibt die Debatte?

Wo sind also die Journalisten, die es wagen, weiterzufragen, auch wenn man ihnen bedeutet, Kritik könnte der eigentlich „guten Sache“ schaden? Wo sind die Mitarbeitenden, die nicht aus Angst um ihre Karriere schweigen, wenn sie Unstimmigkeiten und Fehlentwicklungen sehen? Wo sind die Experten, die nicht auf Folgeaufträge schielen, sondern ihrem Auftraggeber klipp und klar zu sagen wagen, wenn ein Projekt nichts taugt? „Tut um Gottes Willen etwas Tapferes!“

Für neue Ansätze in der IZA

Erfreulicherweise gibt es nach und nach Leute, die es wagen, die Unfehlbarkeit der derzeitigen Entwicklungsbranche anzuzweifeln. Einer davon ist Toni Stadler, der in der NZZ einiges Bedenkenswerte geäussert hat:

https://www.nzz.ch/schweiz/einsichten-eines-globalen-nomaden-ld.1414154

Mein Leserbeitrag kam zu spät, darum noch hier:

Erfrischend, dass da einer mit Erfahrung von innen kommt und einiges an Dogmen in Frage stellt, mit denen in der Entwicklungsbranche nur zu gern operiert und neue Ansätze unterbunden werden: „Erbschuld“ des Westens, Migration als „Lösung“, Respekt“ vor Ideologien und menschenfeindlichen religiösen Vorschriften usw.

Ich wünsche mir die Fortführung dieser überfälligen Debatte, die Ideen von Herrn Stadler sind dabei ein erfreulicher Anstoss, wenn auch hoffentlich nicht das letzte Wort!

Jan Stiefel

Atomisiert die Entwicklungszusammenarbeit!

Am 18. August brachte David Signer in der NZZ einen beachtenswerten Beitrag zur Frage, ob die Entwicklungszusammenarbeit ein „Auslaufmodell“ sei. Heute 22.8. soll das Thema in Zürich auf öffentlichem Podium diskutiert werden.

Der folgende Text war als Leserbeitrag gedacht. Nachdem er nach dreimaligem Einsenden nicht erschienen ist, sei er hier, leicht erweitert, eingestellt:

Nach Jahrzehnten von entwicklungsbezogener Tätigkeit in Afrika, Asien und Lateinamerika muss ich sagen: David Signer bringt mit seinen Analysen und Folgerungen wesentliche Fakten zur Sprache, die zwar nicht neu sind, aber in den vergangenen Jahrzehnten mangels Interesse auf der einen, und wegen ideologisch verengter Sicht auf der anderen Seite zu wenig beachtet worden sind. Mein Beitrag wären zwei Anmerkungen:

Zum einen: Es wäre wichtig, „Entwicklungszusammenarbeit“ (EZA) nicht insgesamt für wertlos zu halten. Zusammenarbeit auf Augenhöhe ist immer wünschbar, gerade auch zwischen Menschen unterschiedlicher Mentalität. Ich würde eher präzisieren, dass es vor allem EZA in der heutigen Form ist, die neu durchdacht werden sollte: Derzeit sind es vor allem staatliche Beamtenapparate (in der Schweiz die DEZA), die in letztlich alt-paternalistischer und oft sehr technokratischer Manier abseits der öffentlichen Debatte entscheiden, was für jene „da unten“ das Beste sei. Wenn man die Branche gut genug kennt, weiss man auch, dass die meisten dieser vermeintlichen Experten eher gelernt haben, wie man innerhalb der Entwicklungsbürokratie vorankommt, als darüber, was die „Zielgruppen“ in den Ländern des Südens bewegt. Insoweit ist diese staatlich-bürokratisch gelenkte EZA in der Tat nicht nur ein Auslaufmodell: Sie hat von Anfang an nie richtig funktioniert.

Erinnern wir uns: „Zusammenarbeit“ findet in erster Linie zwischen Menschen statt, und nicht zwischen Institutionen. Kurz zusammengefasst: Der Ansatz, der mir vorschwebt, müsste dem Rechnung tragen durch Beteiligung breiterer Kreise im „Norden“, also hierzulande, an Tätigkeiten der EZA, dies erst einmal durch die vielen NGOs, die es schon gibt, und dann auch zusätzlicher, die noch zu gründen wären: Sie könnten es sein, die mit persönlichem Engagement vor Ort, in nicht unbedingt „grossem Rahmen“ zusammen mit den Betroffenen individuell und auf die lokalen Verhältnisse zugeschnittene Lösungen erarbeiten könnten. Profitieren würden nicht nur die Partner im Süden, sondern auch unsere Gesellschaft, die sich der konkreten Erfahrung vieler ihrer Mitglieder eines realistischeren Blicks auf „die anderen“ erfreuen könnten. Was auch dem derzeitigen politischen Diskurs etwa zu Rassismus und Migration nur gut tun könnte.

Hätte denn Staat und Bürokratie da noch Aufgaben? Sehr wohl. Zum einen müssten geordnete Geldflüsse gewährleistet sein- eine Aufgabe, die zu den Kernkompetenzen jedes beamtlichen Apparates hgehören sollte. Auch das Erfassen von Erfahrungen zwecks Erfolgskontrolle und Verbesserung könnte dazugehören. Zum anderen aber gibt es sehr wohl Aufgaben, die zwischen höheren Chargen in Partnerstaaten durchaus anzugehen wären: Ich denke da vornehmlich an die Gewährleistung von Rechtssicherheit und, wenn möglich, von stabilen demokratischen oder wenigstens damit kompatiblen Strukturen. Vielleicht auch an einen Mindeststandard an Infrastruktur. Sie wären eine wichtige Voraussetzung für die wirksame Arbeit der vielen kleinen NGOs.

Der zweite Punkt folgt aus einem verbreiteten Glauben, der auch im Artikel durchscheint: Es ist jener, EZA vor allem als „Hilfe“ an ganze „Länder“ mitsamt den jeweiligen Regimes zu verstehen. Niemand wird bestreiten, dass es auch in den ärmsten Ländern eine Art Mittelstand und einige sehr „Reiche“ gibt. Weniger bewusst ist man sich, dass es beispielsweise auch in Schwellenländern krasse Armut gibt. Gerade letztere ist ebenso zu bekämpfen wie jene in den ärmsten Ländern, denn beide sind aus Gründen der Menschlichkeit nicht wünschbar. Und wenn das nicht reicht, dann wären sie auch aus Pragmatismus zu bekämpfen, denn sie sind immer eine Quelle sozialer und politischer Instabilität und damit von Risiken für die ganze Weltgemeinschaft.

Hier plädiere ich für eine Abwendung von der stark auf Länder ausgerichteten zu einer weit mehr auf die Lebensumstände bestimmter Bevölkerungsgruppen ausgerichteten Kooperation, wo immer diese zu finden sind. Dazu gehören sowohl arme Kleinbauern in den Anden Boliviens ebenso wie solche am Stadtrand von Delhi, und Slumbewohner in Sao Paulo genauso wie solche in Ouagadougou.

Atomisiert die Entwicklungshilfe heisst: Öffnet die Tore für kleinere, vorzugsweise von Privaten betriebene Kooperationen ohne bürokratische Zwischenschritte. Die Steuerung müsste durch entsprechende transparente Organe vermittelt und öffentlich einsehbar sein. Die erheblichen öffentlichen Finanzen, die jetzt zu grossen Teilen in ineffizienten Bürokratien versickern, wären gezielter verwendet, und trügen allseits zu Lernprozessen bei. Auch bei uns im „Norden“.

Effektiver Altruismus, Give Directly et al.

In den vergangenen Jahren hat man immer wieder gehört vom  „effektiven Altruismus“ und von Organisationen wie „Give Well“ oder „Give Directly“. Wir werden seither immer wieder zu unserer Meinung dieser „Bewegung“ gegenüber gefragt. Hier beispielhaft Interviewfragen, gestellt im Januar 2018 von einer Schweizer Uni-Absolventin für ihre Bachelor-Arbeit.

Interviewfragen –  IDEAS Aid Raiting

Vorbemerkung AidRating: Wir betrachten in erster Linie Transparenz und Wirkung von Organisationen der Entwicklungszusammenarbeit (EZA), d.h. der Tätigkeiten, die zu einer besseren Bewältigung des Lebensumfeldes in „Entwicklungsländern“ durch die Menschen dort führen sollen. Die Antworten beziehen sich stets auf diese Grundvoraussetzung.

Spenden

  1. Sie messen NGO’s nach Ihrer Transparenz und Qualität. Wie sehen Sie die derzeitige Situation im Schweizer Spendenmarkt? Sind die Hilfswerke gut aufgestellt, ist Ihre Wirkung transparent?

Wir messen die Transparenz, nicht die „Qualität“. Letztere sollte Gegenstand der Debatte werden, ermöglicht durch Kenntnis der Ziele und Tätigkeiten -dank „Transparenz“.

Die Berichterstattung der grossen Hilfswerke war nie besonders transparent, am wenigsten wenn finanziert von der DEZA, also der staatlich kontrollierten EZA. Das konnten wir schon vor Jahren statistisch belegen (LINK)

Man muss annehmen, dass weniger an wünschbarer Wirkung erzielt wird als behauptet. Die grossen und bekannten Hilfswerke hängen inzwischen fast völlig von der DEZA ab, Spenden spielen eine immer geringere Rolle.

Es gibt aber viele kleine und kleinste Hilfswerke, wo oft mit viel Herzblut und Redlichkeit versucht wird, zu helfen. Obwohl sie oft Knowhow und Finanzen gut gebrauchen könnten, bleiben sie bei der undurchsichtigen staatlichen Geldzuteilung meistens aussen vor.

 

  1. Glauben Sie, dass die Mehrheit von NGO’s momentan genug effektiv agieren? Braucht es Ihrer Meinung nach eine evidenzbasierte Wirkungsmessung?

Zum ersten Teil Ihrer Frage: Bei Hilfswerken unter DEZA-Einfluss: Nein. Je mehr staatliche Gelder, desto träger werden sie. Bei anderen: Können fallweise gute Arbeit leisten.Da die führenden Agenturen hier keine taugliche Richtschnur bieten, muss das im Einzelfall ermittelt werden.

Zum zweiten Teil:

  1. Wirkungsmessung oder besser –abschätzung aufgrund von geeigneten Indikatoren wäre gut und zu fördern.
  2. „Evidenzbasierte“ Wirkungsmessung, wie sie jetzt als Modebegriff kursiert, ist untauglich, solange dabei gezielt und damit unzulässig vereinfacht wird: Ohne angemessene Grundlage, also willkürlich werden Einzelaspekte herusgepickt, in Zahlen verwandelt und als Erklärung für komplexe Gesamtzusammenhänge ausgegeben. Es handelt sich um klassische Pseudowissenschaft, die Verwirrung stiftet und hoffentlich bald wieder verschwindet.

 

  1. Sehen Sie einen Handlungsbedarf, um eine evidenzbasierte Entwicklungshilfe mit Wirkungsstudien zu fördern? Oder glauben Sie weniger, dass Wirkungsstudien sinn machen?

Wenn es um Indikatoren wir unter 2 a) erörtert: Ja, kann nützlich sein. Am besten aber ist es, wenn in den Projekten selber schon ein Wirkungsmonitoring eingeplant ist. Wenn zu b) gehörig: Irreführend. Schnellstmöglich auf den Kehricht damit.

 

  1. Sehen Sie es positiv, dass es schon nur in der Schweiz eine so hohe Anzahl an Hilfswerken gibt?

Ja Vielfalt bringt Zuganz zu Erfahrungen auch von hiesigen Akteuren, und sie bringt Diversität.

 

  1. Sehen Sie eine Relevanz, dass Privatspender effektiv spenden? Oder ist es wichtiger, dass sie überhaupt spenden?

Wir finden sinnvoll, wenn sich Leute beim Spenden Gedanken machen über Ursachen und Zusammenhänge, und wenn sie sich mit Tätigkeiten und Zielen der betreffenden Hilfswerke auseinandersetzen. Wir brauchen mehr Bewusstsein darüber, in was für einer Welt wir leben, und warum es Privilegierte gibt und andere. Spenden nur um sich gut zu fühlen oder sein Gewissen zu beruhigen halten wir für fragwürdig.

 

  1. Studie über effektives Spendenzeigen, nur 20% der Spender sind tatsächlich interessiert, was die Spende oder das Hilfswerk tatsächlich nützt, sehen Sie hier Handlungsbedarf?

Ja, siehe Antwort zu Frage 5. Genau deswegen finden wir auch Transparenz nötig.

 

  1. Ist es in der Pflicht der Privatspender, des Hilfswerkes oder des Staates, dass Spenden effektiver werden? Oder soll spenden weiterhin aus einem Mitgefühl getan werden und weniger aus dem Effizienzgedanken?

Man kann es nicht zum Gesetz erheben. Aber mehr Auseinandersetzung mit den Ursachen wäre nicht nur für gezielteres Spenden gut, sondern auch für uns: Mehr Nachdenklichkeit darüber, woher unser Wohlergehen stammt, wie es mit dem Rest der Welt zusammenhängt. Auch Empathie darf dazugehören, die über das Ansehen trauriger Kinderaugen hinausgeht.

 

  1. In einem Artikel des EA habe ich gelesen, dass Privatspender diese Hilfswerke erhalten, welche sie verdient haben? Wären Hilfswerke effektiver, wenn wiederum Privatspender mehr auf die Effektivität achten würden?

Diese Frage verstehe ich nicht.

 

  1. Sie kritisieren die Zewo ziemlich scharf, da diese eher einen Fokus auf die Buchhaltung und Administrativen Kosten setzen und weniger auf Wirksamkeit und Transparenz. Glauben Sie, dass die Zewo ihre Standards verändern muss, damit sie in der Schweiz weiterhin ernstgenommen wird?

Es sollte Alternativen zur ZEWO geben, damit die Menschen eine Wahl haben und die jeweils angewandten Kriterien vergleichen können. Darum versuchen wir, ein alternatives Siegel zu lancieren. ZEWO betrifft im übrigen nicht nur EZA, sondern alle möglichen Arten von Hilfswerken und ist allein darum schon sehr unspezifisch.

Übrigens hat die ZEWO einen weiteren Makel, der weitgehend unbeachtet bleibt: Das ZEWO-Zertifikat wird missbraucht als eine Art DEZA-Filter zum Fernhalten unerwünschter Hilfswerke: Es wurde bisher von der DEZA als Vorbedingung für finanzielle Beiträge gestellt.

  1. Führen Sie in Zukunft weiterhin eine Transparenz Rangliste durch?

Wenn mehr Kräfte und Mittel zur Verfügung stünden, täten wir dies und noch mehr.

 

Effektiver Altruismus

  1. Wie stehen Sie allgemein zur Bewegung des Effektiven Altruismus? Ist es ein Thema bei Ihnen? Oder halten Sie, deren Bewegung für nicht so relevant?

Eine Modeströmung, unseres Erachtens ausgeheckt von Schreibtischtätern und Erbsenzählern in den USA, die keine Ahnung haben von den Realitäten vor Ort. Hoffentlich verschwindet sie bald.

 

  1. Ist es positiv, wenn Hilfswerke nach der reinen Effektivität ausgesucht werden?

 

Wen Sie das in der engen Definition des „Eff. Altr.“ meinen, dann ist die Antwort einmal mehr Nein. Oder eher: Man sollte sein Spendengeld nicht vergeuden und besser anderen spenden.

 

  1. Wo sehen Sie Potential bei dieser Bewegung? Oder haben Sie einzelne Punkte, welche Sie von der Bewegung positiv finden?

Das einzig Positive, das ich dabei sehe, ist, dass sich junge Leute überhaupt mit der Problematik auseinandersetzen. Allerdings nur, wenn dann auch weitergefragt wird und es vielleicht zu einer vertieften Auseinandersetzung mit der Sache kommt.

 

  1. Wo sehen Sie Risiken bei dieser Bewegung?

Vergeuden von Zeit und Ressourcen, bis die Leere dieser „Lehre“ durchschaut wird.

 

  1. Sie äussern sich eher kritisch gegenüber der Organisation GiveDirectly? Beäugen Sie auch allgemein Wirkungsmessung durch evidenzbasierte Studien kritisch? Glauben Sie, dass es wichtiger ist vor Ort die Situation zu sehen, als die Effektivität durch Wirkungsstudien zu messen?

 

Ich möchte warnen: Die Form der Frage nimmt schon vorweg, dass das, was „Give Directly“ macht, „evidenzbasiert“ ist und „Wirkung“ misst. Beides kann allenfalls bei einem Tunmnelblick unter Ausklammerung von allem übrigen behauptet werden.

Es gibt auch so schon ernstzunehmende Studien, die versuchen, die komplexen Zusammenhänge einigermassen in den Griff zu bekommen. Da gibt es auf der Welt Tausende seriöser Leute in seriösen Institutionen, die sich seit vielen Jahren darum bemühen. Dass da einige kommen und glauben oder so tun, als hätten sie jetzt die Wirkungsmessung entdeckt, ist geradezu grotesk.

Es gelten die Ausführungen zu Frage 2 und jene in unserem Blog, die nach vertiefter Lektüre der Berichterstattung und Argumentationsweise erfolgten. Hier nochmal, besonders die Antwort auf den Kommentar von Jonas Vollmer könnten etwas bringen:

http://aidrating.net/geschwaetz-bar-auf-die-kralle/#comments

Ich glaube nicht, dass sich irgendwo seriöse (sozial)wissenschaftliche Forschungsinstitutionen auf diese Sache auf Dauer einlassen werden.

Jan Stiefel

Wem spenden in der Entwicklungshilfe: Empfehlungen 2017

Mit nahenden Festtagen steigt auch wieder landauf landab das Interesse an glaubwürdigen Hinweisen, wem man spenden sollte. Auch wir von AidRating werden wieder vermehrt angefragt.

Wir befassen uns mit Entwicklungszusammenarbeit, heute eher „Internationale Zusammenarbeit“ (IZA) genannt. Die hier folgenden Empfehlungen betreffen fast ausschliesslich diese. Sie werden ab jetzt je nach Verlauf der Debatte bis Anfang 2018 ergänzt.

Hauptempfehlung 2017:

Wir empfehlen, zu spenden an kleinere, vielleicht nur lokal bekannte Hilfswerke, welche

  1. konkrete Projekte betreiben, namentlich in ländlichen Gebieten
  2. sich mit Themen wie Bildung, Berufsbildung, kleinbäuerliche Landwirtschaft, Marktzugang, Gesundheit und Familienplanung und benachbarte Themen befassen, die dem eigenständigen Meistern der eigenen Lebenslage dienen können
  3. sich mit eigenen Leuten häufig oder ständig vor Ort befinden
  4. einen ordentlichen Finanzplan und Finanzbericht vorweisen
  5. über all dies konkret berichten und für Fragen zugänglich sind

Besser als eine Einmalspende, die vielleicht nicht wiederkehrt, sind regelmässige auch kleinere Zahlungen über einen längeren, vorher angekündigten Zeitraum. Dies hilft dem Hilfswerk bei der Planbarkeit. Im Lauf der Zeit können Sie vielleicht Vertieftes über die unterstützte Tätigkeit erfahren.

Wenig relevant ist,

  • Ob das Hilfswerk für irgendeine der vielen Formen der Patenschaft wirbt. Vorausgesetzt, es besteht Gewähr, dass die Hilfe nicht einzelnen ausgewählten Personen oder Gruppen zukommt, sondern einer ganzen Gemeinschaft.
  • Ob das Hilfswerk ZEWO-zertifiziert ist oder nicht. Das ZEWO-Zertifikat ist sehr allgemein, weil für jegliche Art von Hilfswerk.  Es geht um das Spendenwesen, also vor allem die Art, wie Spenden gesammelt werden. Es ist fokussiert auf Buchhaltung und die Organisationsstruktur, nicht aber auf die konkreten Leistungen vor Ort.

Begründung:

Genug Geld von der DEZA

Grosse Hilfswerke werden schon reichlich von der DEZA alimentiert. (Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit des Bundes). Helvetas als grösstes Hilfswerk mit 127 Millionen in der Betriebsrechnung zum Beispiel bekommt 62.5 Millionen (JB DEZA 2016, S 32/33) oder vielleicht auch 71.6 Mio (Finanzbericht Helvetas 2016, S. 4), also die Hälfte aller Gelder. Nochmal 2.2 Mio von der DEZA und 4.6 Mio vom SECO finden sich in den Details weiter hinten (Erläuterungen Seite 14, div. Positionen). Dies nur um die zu nennen, die direkt zu ermitteln sind. Es gibt weitere, indirekte Verteiler.

Dazu kommen Gelder, die direkt oder indirekt von der Huld der DEZA abhängen, beispielsweise 3.1 Mio  von der Glückskette (Jahresbericht Glückskette 2016, S. 48), die ihre Gelder ebenfalls vorzugsweise an grosse Hilfswerke verteilt. Es gibt noch weitere, besser versteckte Posten, namentlich von Behörden und privaten Stiftungen.

Spenden machen einen deutlich geringeren Anteil der Gesamteinnahmen aus. Bei Helvetas waren es 2016 26 Millionen, davon aber weniger als die Hälfte von Privatpersonen (12.6 Mio), (Finanzbericht Helvetas, S. 4 und S 14, Pos 3.1.).

Das heisst: Nur gerade 10% aller Einnahmen sind echte Spenden von Privatpersonen! Die Spendeneinnahmen dienen dennoch vor allem dazu, sich als in der Schweiz „gut verwurzelt“ darzustellen und die weit höheren DEZA-Beiträge zu rechtfertigen.

Weitere Einzelheiten siehe die oben genannten Seiten der Finanzberichte. Dort finden sich auch Namen und entsprechende Angaben zu den anderen grösseren Hilfs-Organisationen. Die Verhältnisse sind dort durchaus ähnlich.

Schwund der Transparenz:

Wir beobachten in den Netzauftritten, dass die Angaben der Hilfswerke zwar optisch immer professioneller daherkommen, dass es aber zugleich immer schwerer wird, Erfolge und Ergebnisse zuzuordnen und ihr Gewicht einzuschätzen. Wir halten Zuordenbarkeit der Ergebnisse (und Flops) an konkrete Projekte für ein wesentliches Element der Transparenz. Nach Muster der von der DEZA so genannten „Wirkungsberichte“ werden sowohl Tätigkeiten wie die behaupteten Wirkungen in einer Weise entkernt und pauschal zusammengemixt, dass man kaum mehr erkennen kann, wo etwas gewirkt hat, und wo nicht. Auch das Warum und Wie ist immer weniger zu erkennen. Das ist nicht Information zwecks Meinungsbildung durch mündige Bürger. Wir sehen fast nur noch manipulative Werbebotschaften.

Weitere Aspekte:

AidRating gibt inzwischen auch ein Transparenzsiegel heraus, das sich stark auf die Qualität der Arbeit vor Ort bezieht und damit eine Empfehlung beinhaltet: Derzeit ist das Hilfswerk Kinderhilfe Emmaus Träger.

Aufgrund aktueller Korrespondenz hier noch ein paar weitere Fragen und Antworten:

1. „Welche Stärken und Schwächen hat das AidRating Gütesiegel gegenüber dem bekannten ZEWO-Gütesiegel? Eindruck: Zewo kostet, ist aber umfassend AidRating: das Label sagt lediglich aus, dass die Institution geprüft wurde“:

Wir würden sagen, dass eher das Gegenteil zutrifft: ZEWO betrachtet nur Administration und Buchhaltung, aber keine Projektinhalte und ihre Ergebnisse. Bei AidRating ist korrekte Buchführung eine Grundvoraussetzung. Darüber hinaus werden stets Kohärenz der Zielsetzung und Projekte in Stichprobenform auf unsere zehn Schlüsselfragen hin untersucht. http://aidrating.net/wp-content/uploads/2016/12/zehnschluesselfragen.pdf

2. „Ist die Aussage korrekt, dass von IDEAS AidRating bewertete Institutionen diese Siegel gratis und unbefristet nutzen dürfen?“

Ja. Siehe unsere Konditionen: http://aidrating.net/wp-content/uploads/2016/12/Siegelbedingungen-kurz-v2.pdf

3. „Die Zahlen von 2012/13 sind die aktuellsten Zahlen. Wann folgt die nächste Analyse?“

Anstatt leichter sind die Tätigkeitsberichte auf den HP usw schwerer zu analysieren geworden. Derzeit fehlen uns die Kapazitäten und Mittel für ein aufwendiges Rating in der früheren Form.

5. „Welche Rolle spielen bei Ihrer Bewertung das Thema „Kinderpatenschaften“. Diese Hilfestrategie ist ja sehr umstritten. Warum hat zB World Vision ein positives Rating?“

Das Konzept „Kinderpatenschaften“ ist fast nur relevant bei der Spendenakquise. Das heisst, Spendende können so eine Art persönliche Beziehung zu einem Kind oder mehreren aufbauen, was dabei hilft, zu regelmässigen Spenden über längere Zeit zu motivieren. Wir halten das für unproblematisch, solange die Spenden dann nicht einzig einem ausgewählten Kind, sondern seiner Gemeinschaft als Ganzer zugutekommt (was in den von uns geprüften Fällen inkl. WV stets der Fall war und darum auch das Rating nicht negativ beeinflusste).
Die Vorstellung, das sei „umstritten“, kommt daher, dass vor Jahren die ZEWO behauptet hat, wer ein Patenkind mit Spenden bedenke, könne damit sozusagen „Gott spielen“, also eine Art ungebührliche Macht ausüben. Mit dieser Begründung wurde dann World Vision die ZEWO-Zertifizierung verweigert. Da diese Zertifizierung auch Vorbedingung war für Finanzbeiträge durch den Bund (DEZA), konnte u.a. eine unliebsame Konkurrenz um DEZA-Gelder ferngehalten werden, sehr zum Gefallen der „etablierten“ Hilfswerke.

Es ist also eine Thematik, die das Spendenverhalten betrifft. So etwas wie eine Geschmackssache. Wir sehen in der ZEWO-Beschränkung eine Bevormundung der Spendenden, denen unterstellt wird, nicht selber gewissenhaft zu spenden oder nicht beurteilen zu können, wie sie ihre Spenden sinnvoll einsetzen können.
Nochmal: „Patenschaften“ haben auch positive Aspekte. Sie bedeuten regelässige Zahlungen über vorhersehbare Zeiträume. Das erlaubt eine bessere Planung und Mittelnutzung als vielleicht grössere, aber unvorhersehbare und damit nicht planbare Zahlungen. Genau darum gibt es längst eine breite Palette von „Patenschaften“ auch bei den etablierten Hilfswerken, inkl. solcher für Kinder. Die Fehlmeinung aber hat überlebt.

Sonstiges:

Es gibt eine Reihe unausrottbarer Irrtümer rund um IZA und Spendenwesen. Sowohl befürwortend wie auch dagegen. Schon vor längerem haben wir dazu einmal einige der häufigsten zusammengestellt: http://aidrating.net/haufig-gehorte-irrtumer-zur-entwicklungszusammearbeit/

Jan Stiefel
Elvira Prohaska

Hinschauen: Zehn Schlüsselfragen für interessierte Spender

Reicht es Ihnen, einfach einen Betrag zu spenden und zu hoffen, dass er Gutes bewirkt, oder dass er „zu 100%“ den Armen zugute kommt? Wir meinen, das ist zuwenig. Wir empfehlen: Hinschauen und dann spenden. Wer mehr wissen will, nutze als Checkliste unsere

Zehn Schluesselfragen.

Sie lassen sich auf jede Aktion der Entwicklungshilfe anwenden. Sehen Sie sich ein Projekt Ihres bevorzugten Hilfswerkes an und testen Sie anhand dieser zehn Fragen, wieviel Sie wirklich darüber erfahren!

Im Beitrag „Wem spenden“ sagen wir, was für Hilfswerke man mit Spenden bedenken sollte. Auch unser Siegel für Transparenz stellen wir vor.