Wege zum Umgang mit der bundesrätlichen Botschaft zur Entwicklungszusammenarbeit 2013-2016
Auf 322 Seiten behandelt die Botschaft zur Entwicklungszusammenarbeit 2013-2016 Vorstellungen zur Ausgabenpolitik der kommenden vier Jahre. Die Erhöhung der Hilfe ist richtig, wenn sie transparent und mit klaren Prioritäten geplant wird, an denen sich die Ergebnisse dann messen lassen. Aber es ist Aufgabe der Zivilgesellschaft und der Politik, diese Prioritäten und Ziele festzulegen. Mit einer durchdachten Entwicklungspolitik hätte die Schweiz ein wichtiges Instrument ihrer Aussenpolitik und damit ihres Selbstverständnisses in Händen. Genutzt wird dieses Instrument seit Jahrzehnten kaum. Auch die neue Botschaft enthält zwar die unerlässlichen Ausgabentabellen, ansonsten aber derart unklare und austauschbare Vorgaben, dass diese einem Freibrief zur Beliebigkeit gleichkommen.
Es ist nötig und sinnvoll, die EZA als Teil einer Aussenpolitik zu sehen, die die langfristigen Verpflichtungen und Interessen eines an Respekt und Mitsprache in internationalen Gremien, Stabilität, wohlwollenden Freunden und an prosperierenden Handelspartnern interessierten kleinen Landes pflegt und fördert. Einer Amtsstelle und ihren Beamten steht es nicht zu, die Entwicklungspolitik zu definieren und auch nicht zu entscheiden, wer an ihrer Gestaltung mitwirken darf und wer nicht. Der Grundsatzdiskurs ist Sache der Parlamentskammern und der Zivilgesellschaft, bei der Ausführung muss mehr Wettbewerb und echte Leistung hinzukommen. In diesem Rahmen soll auch das Budget wie beantragt wachsen können.
Pünktlich zur Debatte ist von der DEZA eine Evaluation präsentiert worden, die sich mit dem Engagement in „fragilen Staaten“ befasst, dem Gebiet also, wo die DEZA vermehrt aktiv werden will: Trotz diplomatischer Formulierungen erweist sie sich als kritisch gegenüber den operationellen DEZA-Fähigkeiten und moniert auch die Unklarheit dessen, was „fragil“ überhaupt heissen soll. Es ist oft von „Potential“ die Rede. Das heisst im Klartext: Man könnte etwas besser machen, tut es aber nicht. Dies betrifft das gesamte Spektrum, vom Definieren stategischer Vorgaben hin zum gezielten Sammeln von Fakten im Feld und dem Treffen konkreter Massnahmen. (Auf DEZA-Homepage unter „Evaluationen seit 2010“: Evaluation 30.5.2012, DEZA Ref Nr 2012.68)
Das ist ein deutlicher Wink an die Politik, sich zunächst mehr Einfluss und Mitsprache im zu sichern und sich dabei nicht durch dir nebulöse Diktion der Botschaft daran hindern zu lassen. Er betrifft alle Entscheidungsträger, und jene an den beiden Polen des bedingungslosen „Dafür“ wie des „Dagegen“ ganz besonders, denn diese tragen zur Stagnation besonders bei. Es würde Raum geschaffen zur Entwicklung von Innovationen und Konzepten, die im bisherigen engen Rahmen nicht zum Zug kamen.
Sofortmassnahmen
Besonders dringlich wären mehr Transparenz und mehr Wettbewerb. Politisch könnte dafür der Weg gebahnt werden durch Verknüpfung eines Ja zur Botschaft mit folgenden Zusatzforderungen, etwa per Motion:
- Einführung voller Transparenz über Projekte und Tätigkeiten. Die DEZA hat schon 2009 eine internationale Initiative grosser Geber zu einem Standard zur Berichterstattung unterzeichnet, der konkreter ist und bessere Lernerfahrungen ermöglicht als die ältere und unvollständig umgesetzte OECD DAC-Codierung. Der neue Standard ist bekannt ais IATI. Die Einführung macht erhebliche Fortschritte. Fast alle grossen Geber und renommierte internationale NGOs wie Oxfam haben sich schon darauf verpflichtet. Die Schweiz hat auf internationaler Ebene die Einführung auf Oktober 2011 versprochen. Auch Alliance Sud befürwortet die Einführung von IATI. Dennoch bestehen innerhalb der DEZA offenbar starke Widerstande. In der bundesrätlichen Botschaft wird IATI trotz aller Versprechen mit keinem Wort erwähnt.
Hingegen liegen die Vorteile der durch IATI möglichen Vergleichbarkeit auf der Hand: Noch kaum absehbar sind die sich eröffnenden Perspektiven für verbesserte Wirkungsorientierung: Erfolge und Misserfolge im Feld lassen sich über ganze Sektoren, Regionen, Ländergruppen und darüber hinaus vergleichen und analysieren. Die wäre ein Quantensprung bei der bisher chronisch dürftigen Datenlage zur Wirkungsevaluation, wie er noch nie dagewesen ist.
- Mehr Wettbewerb durch stufenweise Öffnung des Marktes für Beratungs- und Durchführungsleistungen im Bereich Entwicklungszusammenarbeit innerhalb der Schweiz. Dieser umfasst jährlich 140 Millionen Franken und beschäftigt einige Hundert Anbieter. Nur ein Dutzend von diesen aber erhalten den grössten Teil davon (2010: 86%), siehe IDEAS-Analyse der Vergabepraxis DEZA 2010.
Dies führt zu einem wettbewerbsfeindlichen Favoritismus, verbunden mit Innovationsdefiziten und mit den bei fehlendem Wettbewerb zu erwartenden Nachteilen bei den Kosten. Mehr Wettbewerb brächte einen Mehrwert für die Schweiz durch breitere Streuung von Know-how im internationalen (Entwicklungs)umfeld, sowie durch breitere Nutzung des kreativen Potentials (crowdsourcing). Ausschreibungen müssen weit öfter als bisher, Folgeaufträge sollten nur noch in engen Grenzen erfolgen. Bei Vergaben müssten kleine Agenturen und Neulinge die Chance bekommen, sich zu bewähren; bei freihändigen Vergaben müsste ein Zufallsprinzip spielen. Die Zuteilung müsste von den Beziehungen und Interessen der beteiligten Beamten befreit erfolgen.
Mittelfristige Massnahmen
Verbesserte Transparenz und mehr Wettbewerb käme der gesamten Organisationskultur zugute. Sie könnte stark beitragen zu zielorientiertem Handeln, Abbau von Verzettelung und Konzentration auf Wesentliches. Mittelfristig aber könnte die EZA zu einem wichtigen und respektierten Instrument der Schweizer Welt-Aussenpolitik werden. Dies wird einiges an Arbeit erfordern. Der Anstoss könnte aber ab jetzt durch Einbringen entsprechender Postulate mit Eckdaten und Terminen für Etappenziele gegeben werden:
Besinnung auf die Kernkompetenzen
Die betroffenen Bundesämter sollten zurück zu ihren Kernkompetenzen finden oder sich diese erarbeiten unter Mitwirkung ihrer Departemente. Welches diese sind, wäre nicht von den Ämtern selber zu bestimmen, sondern durch Parlament und öffentliche Debatte aufgrund der Zielvorgaben im Entwicklunghshilfegesetz, an die man sich bei dieser Gelegenheit getrost wieder einmal erinnern kann. Vier wünschenswerte Kernkompetenzen gibt es anzuführen:
Diplomatischer Dialog: Zum einen betrifft dies verstärkt diplomatisch-konsularische Aufgaben. Hierhin gehören namentlich Sicherstellung zwischenstaatlicher Kommunikation, Schutzfunktionen für Projekte und „Feldmitarbeiter“, sowie „Policy-Dialog“ zur Erörterung staatlicher Grundleistungen auf ministerieller Ebene, wie sie auch in der genannten Studie angemahnt werden. Solche Funktionen dürften länderspezifisch wünschbar sein in „fragilen Staaten“ und anderen, wo die Schweiz besondere Ziele oder Interessen verfolgt, etwa Partner von Ländergruppen bei IMF und Weltbank. Hier könnten die bisher vorwiegend als ausgelagerte Verwaltungszentren wirkenden Koordinationsbüros der DEZA ihre wesentliche Aufgabe finden, und dies in geringerer Zahl und mit kürzerer Präsenzperspektive als bisher.
WTO-Position: Der zweite, damit verbunden, wäre die Pflege der Schweizer Positionen gegenüber den Bretton Woods- und UN-Institutionen verbunden mit der Verwaltung der entsprechenden Budgets. Auch hier wäre einiges zu tun, die Beziehungsnetze aus den längst gewachsenen verwaltungstechnischen Verflechtungen herauszuheben und zu einem Aufgabenbereich mit politisch klaren Vorgaben zu machen. Diese böten den Rahmen, in dem Höhe und Zweckbestimmung der Geldbeiträge in politischem Prozess erarbeitet würde.
Governance: Dritter Kompetenzbereich wäre die Kooperation von Regierungsstelle zu Regierungsstelle: Unterstützung staatlicher Schlüsselfunktionen wie Rechtspflege, Bildungspolitik, Polizeiwesen, Korruptionsbekämpfung, Governance. Alles begleitet von einem energischeren, auch in der erwähnten Evaluation angemahnten „Policy-Dialog“. Zuständige Bundesämter könnten federführend und durch Eigenerfahrung fundiert, EDA und DEZA ausführend wirken. Bedingung wäre allerdings auch mehr Mut als bisher beim Ansprechen von Problemen.
Verwalten statt herrschen: Die vierte Kernaufgabe betrifft grundlegende Verwaltungsaufgaben, wie sie eigentlich immer sicherzustellen wären: Koordination und Informationsaustausch mit Akteuren, Controlling, Qualitätssicherung, und Berichterstattung. Der Bereich ist anspruchsvoll, weil es sich um weit divergierende Themen, unterschiedliche geografische Gebiete, und eine grosse Zahl unterschiedlicher Akteure handelt. Politik und Wissenschaft müssten das Ihre beitragen, um die Bundesämter nicht allein zu lassen: Schon die eben jetzt neu veröffentlichte DEZA-Evaluation berichtet, dass die DEZA-Kader mit den vergleichsweise geringen Anforderungen in Bezug auf „fragile Staaten“ schnell überfordert reagierten. Bei tiefgreifenderen Reformen dürfte dies noch stärker der Fall sein, was langfristige Bemühungen erwarten lässt.