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KVI: Weltverbesserung per Strafbefehl

Ein Kommentar zur Unternehmensverantwortungs-Initiative

Sarah Palin, nicht eben für komplexe Denk­ansätze bekannte einstige US-Vizepräsidenten-Kandidatin, wurde einmal gefragt, was sie denn über Russland wisse. Sie soll geantwortet haben: Man sehe dessen Küste von Alaska aus, also kenne sie es.

Ähnlich einfaches Denken scheint der aktuellen Unternehmensverantwortungs-Initiative zugrundezuliegen: Man meint, aus der satten Schweiz heraus Zusammenhänge in weit entfernten Ländern gut genug zu verstehen, um zu tun, was man in der Schweiz gerne tut: darüber zu richten. Kein Wunder, geht in der heftigen Debatte vieles unter. Als Beispiele folgende sonst wenig angesprochene Punkte und ein allgemeiner Gedanke:

Zum ersten: Der Initiative fehlt es an logischer Stringenz. Wenn man sich damit vielleicht abfinden muss, dass Misstände in der Ferne vor Schweizer Gerichten verhandelt werden sollen: Warum sollen dann nur gerade (bestimmte) Privatunternehmen in die Pflicht genommen werden, und nicht gleich alle juristischen Personen, die im Ausland tätig sind und in ihrer dortigen Tätigkeit auf vielfältige, oft kaum verstandene Weise Auswirkungen auf Menschenrechte und Umwelt haben, inklusive sogenannt „potentielle“?
Wenn schon, dann wären beispielsweise auch solche der Bau- Reise- oder Tourismusbranche, oder gar Entwicklungsorganisationen mit ihren oft umfangreichen Projekten gerade in besonders armen Ländern einzubeziehen. Fast scheint es, die federführenden Hilfswerke hätten eine Gelegenheit verpasst, auf die sie eigentlich erpicht sein müssten: Nämlich die eigene Sorgfalt und die positiven Auswirkungen ihres Tuns nun nach Verfassungsvorgaben ins rechte Licht rücken zu dürfen. Wie gesagt wurde: Wer anständig wirtschaftet, hat nichts zu befürchten.
Kurz: Ein umfassender Einbezug nicht nur der „üblichen Verdächtigen“, sondern aller betroffenen Kreise wäre konsequent. Fraglich wäre allerdings, ob dann noch viel Zustimmung übrig bliebe.

Zum Zweiten: Kaum je Debattenthema war, dass in jedem Fall „sämtliche Geschäftsbeziehungen“ einer „angemessenen Sorgfaltspflicht“ im Sinn der Initiative zu unterziehen sind. Zu solchen gehören viele Importketten des breiten täglichen Bedarfes. Nur einige mögen beispielhaft genannt sein, um die Problematik anzudeuten, die nach der Annahme der Initiative dann gelöst werden müsste: Wären dann etwa die Tausende km2 Urwald, die für Weiden oder Futtermittel zur Befriedigung unseres Fleischbedarfs oder für Ölpalmenplantagen abgefackelt werden samt Vertreibungen von Indigenen und Kleinbauern usw. gemäss Initiativtext als „geringe Risiken“ einzustufen? Ebensolches gilt für Rohstoffe, von denen es neben den stets erwähnten Seltenen Erden viele gibt: Edelhölzer, Textilien, cash crops wie eine ganze Reihe von mehr oder weniger exotischen Gemüsen und Früchten, durch deren Export Landwirtschaftsflächen in den Ursprungsländern knapp und Preise für die lokale Bevölkerung ins Unbezahlbare gesteigert werden. Wie steht es um die Hochsee-Überfischung, wie um die zahllosen Fisch- und Garnelenzuchten, die weltweit daran sind, Oekosysteme wie etwa Mangrovenwälder zu verdrängen?

Alles harmlos, oder hat einfach keiner daran gedacht? Hand aufs Herz: Es wären nicht nur ein paar «Konzerne» betroffen. Wenn konsequent umgesetzt, hätte das mächtig Auswirkungen auch auf Geldbeutel und gewohnten Konsum jedes einzelnen von uns hier in der Schweiz! Um im Bild zu bleiben: Man stelle sich etwa die jeweiligen „Sorgfaltsprüfungen“ allein etwa von Grossimporteuren wie Coop oder Migros vor, die gemäss Initiative eigentlich fällig wären..

Zuletzt ein persönlicher Gedanke: In einer Verfassung erwarte ich Aussagen, welche die wichtigsten Grundregeln eines Themas oder einer Problematik in ausreichend allgemeiner und damit allgemeingültiger Weise ausdrücken, um nicht nur im politischen Tagesgeschäft, sondern auch noch in Jahrzehnten nach uns Bestand zu haben. So ist unsere Verfassung in weiten Teilen gehalten. Dieser Text aber reiht sich ein in Einschübe aus den letzten Jahren, deren Herkunft aus der Tagespolitik nur zu sehr daran erkennbar ist, dass Wünsche oder Vorbehalte einzelner politischer Akteure eher am Rand des politischen Spektrums deutlich im Vordergrund stehen. Zu diesen gehören namentlich die auf Ausländer zielenden Ausschaffungs- und Begrenzungsartikel samt Durchsetzungsversuch (Verfassung Art. 121 und 121a). Sie kamen bisher von rechts. Nun scheint man anderswo auf den Geschmack gekommen zu sein, dem einen weiteren, ebenfalls partikularem Zeitgeist und der Suche nach Sündenböcken verpflichteten Fremdkörper folgen zu lassen.

Respekt für Menschenrechte und Umwelt ist ehrbar. Die Initiative jedoch erzeugt mehr Fragen und Unsicherheiten als sie zu lösen verspricht. Der Initiativtext wirkt pharisäerhaft, denn er stellt selektiv unter Verdacht und belegt gerade in seiner Länge und in seinen ungelenken Definitionsversuchen eines: Er ist nicht gut durchdacht und damit nicht würdig, Teil der Verfassung zu werden.

Jan Stiefel, 16. Nov 2020

Effektiver Altruismus, Give Directly et al.

In den vergangenen Jahren hat man immer wieder gehört vom  „effektiven Altruismus“ und von Organisationen wie „Give Well“ oder „Give Directly“. Wir werden seither immer wieder zu unserer Meinung dieser „Bewegung“ gegenüber gefragt. Hier beispielhaft Interviewfragen, gestellt im Januar 2018 von einer Schweizer Uni-Absolventin für ihre Bachelor-Arbeit.

Interviewfragen –  IDEAS Aid Raiting

Vorbemerkung AidRating: Wir betrachten in erster Linie Transparenz und Wirkung von Organisationen der Entwicklungszusammenarbeit (EZA), d.h. der Tätigkeiten, die zu einer besseren Bewältigung des Lebensumfeldes in „Entwicklungsländern“ durch die Menschen dort führen sollen. Die Antworten beziehen sich stets auf diese Grundvoraussetzung.

Spenden

  1. Sie messen NGO’s nach Ihrer Transparenz und Qualität. Wie sehen Sie die derzeitige Situation im Schweizer Spendenmarkt? Sind die Hilfswerke gut aufgestellt, ist Ihre Wirkung transparent?

Wir messen die Transparenz, nicht die „Qualität“. Letztere sollte Gegenstand der Debatte werden, ermöglicht durch Kenntnis der Ziele und Tätigkeiten -dank „Transparenz“.

Die Berichterstattung der grossen Hilfswerke war nie besonders transparent, am wenigsten wenn finanziert von der DEZA, also der staatlich kontrollierten EZA. Das konnten wir schon vor Jahren statistisch belegen (LINK)

Man muss annehmen, dass weniger an wünschbarer Wirkung erzielt wird als behauptet. Die grossen und bekannten Hilfswerke hängen inzwischen fast völlig von der DEZA ab, Spenden spielen eine immer geringere Rolle.

Es gibt aber viele kleine und kleinste Hilfswerke, wo oft mit viel Herzblut und Redlichkeit versucht wird, zu helfen. Obwohl sie oft Knowhow und Finanzen gut gebrauchen könnten, bleiben sie bei der undurchsichtigen staatlichen Geldzuteilung meistens aussen vor.

 

  1. Glauben Sie, dass die Mehrheit von NGO’s momentan genug effektiv agieren? Braucht es Ihrer Meinung nach eine evidenzbasierte Wirkungsmessung?

Zum ersten Teil Ihrer Frage: Bei Hilfswerken unter DEZA-Einfluss: Nein. Je mehr staatliche Gelder, desto träger werden sie. Bei anderen: Können fallweise gute Arbeit leisten.Da die führenden Agenturen hier keine taugliche Richtschnur bieten, muss das im Einzelfall ermittelt werden.

Zum zweiten Teil:

  1. Wirkungsmessung oder besser –abschätzung aufgrund von geeigneten Indikatoren wäre gut und zu fördern.
  2. „Evidenzbasierte“ Wirkungsmessung, wie sie jetzt als Modebegriff kursiert, ist untauglich, solange dabei gezielt und damit unzulässig vereinfacht wird: Ohne angemessene Grundlage, also willkürlich werden Einzelaspekte herusgepickt, in Zahlen verwandelt und als Erklärung für komplexe Gesamtzusammenhänge ausgegeben. Es handelt sich um klassische Pseudowissenschaft, die Verwirrung stiftet und hoffentlich bald wieder verschwindet.

 

  1. Sehen Sie einen Handlungsbedarf, um eine evidenzbasierte Entwicklungshilfe mit Wirkungsstudien zu fördern? Oder glauben Sie weniger, dass Wirkungsstudien sinn machen?

Wenn es um Indikatoren wir unter 2 a) erörtert: Ja, kann nützlich sein. Am besten aber ist es, wenn in den Projekten selber schon ein Wirkungsmonitoring eingeplant ist. Wenn zu b) gehörig: Irreführend. Schnellstmöglich auf den Kehricht damit.

 

  1. Sehen Sie es positiv, dass es schon nur in der Schweiz eine so hohe Anzahl an Hilfswerken gibt?

Ja Vielfalt bringt Zuganz zu Erfahrungen auch von hiesigen Akteuren, und sie bringt Diversität.

 

  1. Sehen Sie eine Relevanz, dass Privatspender effektiv spenden? Oder ist es wichtiger, dass sie überhaupt spenden?

Wir finden sinnvoll, wenn sich Leute beim Spenden Gedanken machen über Ursachen und Zusammenhänge, und wenn sie sich mit Tätigkeiten und Zielen der betreffenden Hilfswerke auseinandersetzen. Wir brauchen mehr Bewusstsein darüber, in was für einer Welt wir leben, und warum es Privilegierte gibt und andere. Spenden nur um sich gut zu fühlen oder sein Gewissen zu beruhigen halten wir für fragwürdig.

 

  1. Studie über effektives Spendenzeigen, nur 20% der Spender sind tatsächlich interessiert, was die Spende oder das Hilfswerk tatsächlich nützt, sehen Sie hier Handlungsbedarf?

Ja, siehe Antwort zu Frage 5. Genau deswegen finden wir auch Transparenz nötig.

 

  1. Ist es in der Pflicht der Privatspender, des Hilfswerkes oder des Staates, dass Spenden effektiver werden? Oder soll spenden weiterhin aus einem Mitgefühl getan werden und weniger aus dem Effizienzgedanken?

Man kann es nicht zum Gesetz erheben. Aber mehr Auseinandersetzung mit den Ursachen wäre nicht nur für gezielteres Spenden gut, sondern auch für uns: Mehr Nachdenklichkeit darüber, woher unser Wohlergehen stammt, wie es mit dem Rest der Welt zusammenhängt. Auch Empathie darf dazugehören, die über das Ansehen trauriger Kinderaugen hinausgeht.

 

  1. In einem Artikel des EA habe ich gelesen, dass Privatspender diese Hilfswerke erhalten, welche sie verdient haben? Wären Hilfswerke effektiver, wenn wiederum Privatspender mehr auf die Effektivität achten würden?

Diese Frage verstehe ich nicht.

 

  1. Sie kritisieren die Zewo ziemlich scharf, da diese eher einen Fokus auf die Buchhaltung und Administrativen Kosten setzen und weniger auf Wirksamkeit und Transparenz. Glauben Sie, dass die Zewo ihre Standards verändern muss, damit sie in der Schweiz weiterhin ernstgenommen wird?

Es sollte Alternativen zur ZEWO geben, damit die Menschen eine Wahl haben und die jeweils angewandten Kriterien vergleichen können. Darum versuchen wir, ein alternatives Siegel zu lancieren. ZEWO betrifft im übrigen nicht nur EZA, sondern alle möglichen Arten von Hilfswerken und ist allein darum schon sehr unspezifisch.

Übrigens hat die ZEWO einen weiteren Makel, der weitgehend unbeachtet bleibt: Das ZEWO-Zertifikat wird missbraucht als eine Art DEZA-Filter zum Fernhalten unerwünschter Hilfswerke: Es wurde bisher von der DEZA als Vorbedingung für finanzielle Beiträge gestellt.

  1. Führen Sie in Zukunft weiterhin eine Transparenz Rangliste durch?

Wenn mehr Kräfte und Mittel zur Verfügung stünden, täten wir dies und noch mehr.

 

Effektiver Altruismus

  1. Wie stehen Sie allgemein zur Bewegung des Effektiven Altruismus? Ist es ein Thema bei Ihnen? Oder halten Sie, deren Bewegung für nicht so relevant?

Eine Modeströmung, unseres Erachtens ausgeheckt von Schreibtischtätern und Erbsenzählern in den USA, die keine Ahnung haben von den Realitäten vor Ort. Hoffentlich verschwindet sie bald.

 

  1. Ist es positiv, wenn Hilfswerke nach der reinen Effektivität ausgesucht werden?

 

Wen Sie das in der engen Definition des „Eff. Altr.“ meinen, dann ist die Antwort einmal mehr Nein. Oder eher: Man sollte sein Spendengeld nicht vergeuden und besser anderen spenden.

 

  1. Wo sehen Sie Potential bei dieser Bewegung? Oder haben Sie einzelne Punkte, welche Sie von der Bewegung positiv finden?

Das einzig Positive, das ich dabei sehe, ist, dass sich junge Leute überhaupt mit der Problematik auseinandersetzen. Allerdings nur, wenn dann auch weitergefragt wird und es vielleicht zu einer vertieften Auseinandersetzung mit der Sache kommt.

 

  1. Wo sehen Sie Risiken bei dieser Bewegung?

Vergeuden von Zeit und Ressourcen, bis die Leere dieser „Lehre“ durchschaut wird.

 

  1. Sie äussern sich eher kritisch gegenüber der Organisation GiveDirectly? Beäugen Sie auch allgemein Wirkungsmessung durch evidenzbasierte Studien kritisch? Glauben Sie, dass es wichtiger ist vor Ort die Situation zu sehen, als die Effektivität durch Wirkungsstudien zu messen?

 

Ich möchte warnen: Die Form der Frage nimmt schon vorweg, dass das, was „Give Directly“ macht, „evidenzbasiert“ ist und „Wirkung“ misst. Beides kann allenfalls bei einem Tunmnelblick unter Ausklammerung von allem übrigen behauptet werden.

Es gibt auch so schon ernstzunehmende Studien, die versuchen, die komplexen Zusammenhänge einigermassen in den Griff zu bekommen. Da gibt es auf der Welt Tausende seriöser Leute in seriösen Institutionen, die sich seit vielen Jahren darum bemühen. Dass da einige kommen und glauben oder so tun, als hätten sie jetzt die Wirkungsmessung entdeckt, ist geradezu grotesk.

Es gelten die Ausführungen zu Frage 2 und jene in unserem Blog, die nach vertiefter Lektüre der Berichterstattung und Argumentationsweise erfolgten. Hier nochmal, besonders die Antwort auf den Kommentar von Jonas Vollmer könnten etwas bringen:

http://aidrating.net/geschwaetz-bar-auf-die-kralle/#comments

Ich glaube nicht, dass sich irgendwo seriöse (sozial)wissenschaftliche Forschungsinstitutionen auf diese Sache auf Dauer einlassen werden.

Jan Stiefel

Wem spenden in der Entwicklungshilfe: Empfehlungen 2017

Mit nahenden Festtagen steigt auch wieder landauf landab das Interesse an glaubwürdigen Hinweisen, wem man spenden sollte. Auch wir von AidRating werden wieder vermehrt angefragt.

Wir befassen uns mit Entwicklungszusammenarbeit, heute eher „Internationale Zusammenarbeit“ (IZA) genannt. Die hier folgenden Empfehlungen betreffen fast ausschliesslich diese. Sie werden ab jetzt je nach Verlauf der Debatte bis Anfang 2018 ergänzt.

Hauptempfehlung 2017:

Wir empfehlen, zu spenden an kleinere, vielleicht nur lokal bekannte Hilfswerke, welche

  1. konkrete Projekte betreiben, namentlich in ländlichen Gebieten
  2. sich mit Themen wie Bildung, Berufsbildung, kleinbäuerliche Landwirtschaft, Marktzugang, Gesundheit und Familienplanung und benachbarte Themen befassen, die dem eigenständigen Meistern der eigenen Lebenslage dienen können
  3. sich mit eigenen Leuten häufig oder ständig vor Ort befinden
  4. einen ordentlichen Finanzplan und Finanzbericht vorweisen
  5. über all dies konkret berichten und für Fragen zugänglich sind

Besser als eine Einmalspende, die vielleicht nicht wiederkehrt, sind regelmässige auch kleinere Zahlungen über einen längeren, vorher angekündigten Zeitraum. Dies hilft dem Hilfswerk bei der Planbarkeit. Im Lauf der Zeit können Sie vielleicht Vertieftes über die unterstützte Tätigkeit erfahren.

Wenig relevant ist,

  • Ob das Hilfswerk für irgendeine der vielen Formen der Patenschaft wirbt. Vorausgesetzt, es besteht Gewähr, dass die Hilfe nicht einzelnen ausgewählten Personen oder Gruppen zukommt, sondern einer ganzen Gemeinschaft.
  • Ob das Hilfswerk ZEWO-zertifiziert ist oder nicht. Das ZEWO-Zertifikat ist sehr allgemein, weil für jegliche Art von Hilfswerk.  Es geht um das Spendenwesen, also vor allem die Art, wie Spenden gesammelt werden. Es ist fokussiert auf Buchhaltung und die Organisationsstruktur, nicht aber auf die konkreten Leistungen vor Ort.

Begründung:

Genug Geld von der DEZA

Grosse Hilfswerke werden schon reichlich von der DEZA alimentiert. (Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit des Bundes). Helvetas als grösstes Hilfswerk mit 127 Millionen in der Betriebsrechnung zum Beispiel bekommt 62.5 Millionen (JB DEZA 2016, S 32/33) oder vielleicht auch 71.6 Mio (Finanzbericht Helvetas 2016, S. 4), also die Hälfte aller Gelder. Nochmal 2.2 Mio von der DEZA und 4.6 Mio vom SECO finden sich in den Details weiter hinten (Erläuterungen Seite 14, div. Positionen). Dies nur um die zu nennen, die direkt zu ermitteln sind. Es gibt weitere, indirekte Verteiler.

Dazu kommen Gelder, die direkt oder indirekt von der Huld der DEZA abhängen, beispielsweise 3.1 Mio  von der Glückskette (Jahresbericht Glückskette 2016, S. 48), die ihre Gelder ebenfalls vorzugsweise an grosse Hilfswerke verteilt. Es gibt noch weitere, besser versteckte Posten, namentlich von Behörden und privaten Stiftungen.

Spenden machen einen deutlich geringeren Anteil der Gesamteinnahmen aus. Bei Helvetas waren es 2016 26 Millionen, davon aber weniger als die Hälfte von Privatpersonen (12.6 Mio), (Finanzbericht Helvetas, S. 4 und S 14, Pos 3.1.).

Das heisst: Nur gerade 10% aller Einnahmen sind echte Spenden von Privatpersonen! Die Spendeneinnahmen dienen dennoch vor allem dazu, sich als in der Schweiz „gut verwurzelt“ darzustellen und die weit höheren DEZA-Beiträge zu rechtfertigen.

Weitere Einzelheiten siehe die oben genannten Seiten der Finanzberichte. Dort finden sich auch Namen und entsprechende Angaben zu den anderen grösseren Hilfs-Organisationen. Die Verhältnisse sind dort durchaus ähnlich.

Schwund der Transparenz:

Wir beobachten in den Netzauftritten, dass die Angaben der Hilfswerke zwar optisch immer professioneller daherkommen, dass es aber zugleich immer schwerer wird, Erfolge und Ergebnisse zuzuordnen und ihr Gewicht einzuschätzen. Wir halten Zuordenbarkeit der Ergebnisse (und Flops) an konkrete Projekte für ein wesentliches Element der Transparenz. Nach Muster der von der DEZA so genannten „Wirkungsberichte“ werden sowohl Tätigkeiten wie die behaupteten Wirkungen in einer Weise entkernt und pauschal zusammengemixt, dass man kaum mehr erkennen kann, wo etwas gewirkt hat, und wo nicht. Auch das Warum und Wie ist immer weniger zu erkennen. Das ist nicht Information zwecks Meinungsbildung durch mündige Bürger. Wir sehen fast nur noch manipulative Werbebotschaften.

Weitere Aspekte:

AidRating gibt inzwischen auch ein Transparenzsiegel heraus, das sich stark auf die Qualität der Arbeit vor Ort bezieht und damit eine Empfehlung beinhaltet: Derzeit ist das Hilfswerk Kinderhilfe Emmaus Träger.

Aufgrund aktueller Korrespondenz hier noch ein paar weitere Fragen und Antworten:

1. „Welche Stärken und Schwächen hat das AidRating Gütesiegel gegenüber dem bekannten ZEWO-Gütesiegel? Eindruck: Zewo kostet, ist aber umfassend AidRating: das Label sagt lediglich aus, dass die Institution geprüft wurde“:

Wir würden sagen, dass eher das Gegenteil zutrifft: ZEWO betrachtet nur Administration und Buchhaltung, aber keine Projektinhalte und ihre Ergebnisse. Bei AidRating ist korrekte Buchführung eine Grundvoraussetzung. Darüber hinaus werden stets Kohärenz der Zielsetzung und Projekte in Stichprobenform auf unsere zehn Schlüsselfragen hin untersucht. http://aidrating.net/wp-content/uploads/2016/12/zehnschluesselfragen.pdf

2. „Ist die Aussage korrekt, dass von IDEAS AidRating bewertete Institutionen diese Siegel gratis und unbefristet nutzen dürfen?“

Ja. Siehe unsere Konditionen: http://aidrating.net/wp-content/uploads/2016/12/Siegelbedingungen-kurz-v2.pdf

3. „Die Zahlen von 2012/13 sind die aktuellsten Zahlen. Wann folgt die nächste Analyse?“

Anstatt leichter sind die Tätigkeitsberichte auf den HP usw schwerer zu analysieren geworden. Derzeit fehlen uns die Kapazitäten und Mittel für ein aufwendiges Rating in der früheren Form.

5. „Welche Rolle spielen bei Ihrer Bewertung das Thema „Kinderpatenschaften“. Diese Hilfestrategie ist ja sehr umstritten. Warum hat zB World Vision ein positives Rating?“

Das Konzept „Kinderpatenschaften“ ist fast nur relevant bei der Spendenakquise. Das heisst, Spendende können so eine Art persönliche Beziehung zu einem Kind oder mehreren aufbauen, was dabei hilft, zu regelmässigen Spenden über längere Zeit zu motivieren. Wir halten das für unproblematisch, solange die Spenden dann nicht einzig einem ausgewählten Kind, sondern seiner Gemeinschaft als Ganzer zugutekommt (was in den von uns geprüften Fällen inkl. WV stets der Fall war und darum auch das Rating nicht negativ beeinflusste).
Die Vorstellung, das sei „umstritten“, kommt daher, dass vor Jahren die ZEWO behauptet hat, wer ein Patenkind mit Spenden bedenke, könne damit sozusagen „Gott spielen“, also eine Art ungebührliche Macht ausüben. Mit dieser Begründung wurde dann World Vision die ZEWO-Zertifizierung verweigert. Da diese Zertifizierung auch Vorbedingung war für Finanzbeiträge durch den Bund (DEZA), konnte u.a. eine unliebsame Konkurrenz um DEZA-Gelder ferngehalten werden, sehr zum Gefallen der „etablierten“ Hilfswerke.

Es ist also eine Thematik, die das Spendenverhalten betrifft. So etwas wie eine Geschmackssache. Wir sehen in der ZEWO-Beschränkung eine Bevormundung der Spendenden, denen unterstellt wird, nicht selber gewissenhaft zu spenden oder nicht beurteilen zu können, wie sie ihre Spenden sinnvoll einsetzen können.
Nochmal: „Patenschaften“ haben auch positive Aspekte. Sie bedeuten regelässige Zahlungen über vorhersehbare Zeiträume. Das erlaubt eine bessere Planung und Mittelnutzung als vielleicht grössere, aber unvorhersehbare und damit nicht planbare Zahlungen. Genau darum gibt es längst eine breite Palette von „Patenschaften“ auch bei den etablierten Hilfswerken, inkl. solcher für Kinder. Die Fehlmeinung aber hat überlebt.

Sonstiges:

Es gibt eine Reihe unausrottbarer Irrtümer rund um IZA und Spendenwesen. Sowohl befürwortend wie auch dagegen. Schon vor längerem haben wir dazu einmal einige der häufigsten zusammengestellt: http://aidrating.net/haufig-gehorte-irrtumer-zur-entwicklungszusammearbeit/

Jan Stiefel
Elvira Prohaska

Mumpitz bar auf die Kralle

Anything goes, wenn man auf sich aufmerksam machen will. Das dachte ich zunächst, als ich den folgenden Beitrag im NZZ Folio las.

Unter der Rubrik „Das Experiment“ erzählt Journalist Reto U. Schneider von einem Sozialexperiment in einer kleinen Gemeinschaft am Viktoriasee in Kenia. Einem Teil des Gemeinwesens wurden ohne weitere Bedingungen umgerechnet Fr 250.- ausgehändigt. Dann wurde beobachtet, was mit dem Geld gemacht wurde. Ein paar der Beschenkten kauften nützliche Dinge. Jene, die das Experiment durchführten, waren von einer Organisation, die Geld direkt an Arme verteilt. Das Ergebnis des „Experiments“ war da genehm.  Es wird nun angepriesen als Beleg, dass es besser sei, Armen Geld direkt zu verteilen, statt aufwendige Projektarbeit zu leisten.

Hier der Beitrag im „NZZ Folio“ von November 2014.

Kommentar:

Ersinne ein Experiment, bei dem du Ausgangslage und Fragestellung extrem vereinfachst (Grasdach = arm; erhoffter Kaufentscheid = Erfolg), verabreiche den Auserwählten eine mächtige Dosis deiner Medizin (Geld), den anderen aber nicht, und erkläre das Aufsehen, das du dabei erzeugst, als für das Ergebnis völlig bedeutungslos.

Tu dann so, als ob du die Nebenwirkungen mit einbezögst („Neid kam kaum vor“) aber ignoriere alles übrige, und wähle den Beobachtungszeitraum gerade lang genug, dass sich bei der ausgewählten Teilgruppe ein maximaler Effekt in deinem Sinn messen lässt. Du kannst dabei (weitgehend zu recht) darauf vertrauen, dass die meisten deiner Leser genau wie du sich nur ichbezogen-ökonomische Entscheide nach eigenem Denkmuster als „richtig“ vorstellen können.

Veröffentliche dann dein Labor-Ergebnis durch die richtigen Kanäle als neue Erkenntnis, die ab sofort und möglichst umfassend anzuwenden sei. Du kannst sicher sein: Bei dem vielen Staub, den du aufwirbelst, kannst du für das „neue und innovative Entwicklungsmodell“ reichlich Geld sammeln. Zumindest aber bist du berühmt, lange bevor Heerscharen weiterer Wissenschaftskollegen in weiteren teuren Experimenten zum Schluss gelangen, dass die Sache nicht ganz stimmen kann. Du aber bist dann schon so weit oben auf der Erfolgsleiter, dass dich keiner mehr herunterzuholen wagt.

So läuft vieles, was sich „Wissenschaft“ nennt. Und so wurde und wird in komplexen Problemfeldern wie es EZA ist schon viel Unheil angerichtet.

IDEAS-Standpunkte zur Schweizer EZA

Wege zum Umgang mit der bundesrätlichen Botschaft zur Entwicklungszusammenarbeit 2013-2016

Auf 322 Seiten behandelt die Botschaft zur Entwicklungszusammenarbeit 2013-2016 Vorstellungen zur Ausgabenpolitik der kommenden vier Jahre. Die Erhöhung der Hilfe ist richtig, wenn sie transparent und mit klaren Prioritäten geplant wird, an denen sich die Ergebnisse dann messen lassen. Aber es ist Aufgabe der Zivilgesellschaft und der Politik, diese Prioritäten und Ziele festzulegen. Mit einer durchdachten Entwicklungspolitik hätte die Schweiz ein wichtiges Instrument ihrer Aussenpolitik und damit ihres Selbstverständnisses in Händen. Genutzt wird dieses Instrument seit Jahrzehnten kaum. Auch die neue Botschaft enthält zwar die unerlässlichen Ausgabentabellen, ansonsten aber derart unklare und austauschbare Vorgaben, dass diese einem Freibrief zur Beliebigkeit gleichkommen.

Es ist nötig und sinnvoll, die EZA als Teil einer Aussenpolitik zu sehen, die die langfristigen Verpflichtungen und Interessen eines an Respekt und Mitsprache in internationalen Gremien, Stabilität, wohlwollenden Freunden und an prosperierenden Handelspartnern interessierten kleinen Landes pflegt und fördert. Einer Amtsstelle und ihren Beamten steht es nicht zu, die Entwicklungspolitik zu definieren und auch nicht zu entscheiden, wer an ihrer Gestaltung mitwirken darf und wer nicht. Der Grundsatzdiskurs ist Sache der Parlamentskammern und der Zivilgesellschaft, bei der Ausführung muss mehr Wettbewerb und echte Leistung hinzukommen. In diesem Rahmen soll auch das Budget wie beantragt wachsen können.

Pünktlich zur Debatte ist von der DEZA eine Evaluation präsentiert worden, die sich mit dem Engagement in „fragilen Staaten“ befasst, dem Gebiet also, wo die DEZA vermehrt aktiv werden will: Trotz diplomatischer Formulierungen erweist sie sich als kritisch gegenüber den operationellen DEZA-Fähigkeiten und moniert auch die Unklarheit dessen, was „fragil“ überhaupt heissen soll. Es ist oft von „Potential“ die Rede. Das heisst im Klartext: Man könnte etwas besser machen, tut es aber nicht. Dies betrifft das gesamte Spektrum, vom Definieren stategischer Vorgaben hin zum gezielten Sammeln von Fakten im Feld und dem Treffen konkreter Massnahmen. (Auf DEZA-Homepage unter „Evaluationen seit 2010“: Evaluation 30.5.2012, DEZA Ref Nr 2012.68)

Das ist ein deutlicher Wink an die Politik, sich zunächst mehr Einfluss und Mitsprache im zu sichern und sich dabei nicht durch dir nebulöse Diktion der Botschaft daran hindern zu lassen. Er betrifft alle Entscheidungsträger, und jene an den beiden Polen des bedingungslosen „Dafür“ wie des „Dagegen“ ganz besonders, denn diese tragen zur Stagnation besonders bei. Es würde Raum geschaffen zur Entwicklung von Innovationen und Konzepten, die im bisherigen engen Rahmen nicht zum Zug kamen.

Sofortmassnahmen

Besonders dringlich wären mehr Transparenz und mehr Wettbewerb. Politisch könnte dafür der Weg gebahnt werden durch Verknüpfung eines Ja zur Botschaft mit folgenden Zusatzforderungen, etwa per Motion:

  1. Einführung voller Transparenz über Projekte und Tätigkeiten. Die DEZA hat schon 2009 eine internationale Initiative grosser Geber zu einem Standard zur Berichterstattung unterzeichnet, der konkreter ist und bessere Lernerfahrungen ermöglicht als die ältere und unvollständig umgesetzte OECD DAC-Codierung. Der neue Standard ist bekannt ais IATI. Die Einführung macht erhebliche Fortschritte. Fast alle grossen Geber und renommierte internationale NGOs wie Oxfam haben sich schon darauf verpflichtet. Die Schweiz hat auf internationaler Ebene die Einführung auf Oktober 2011 versprochen. Auch Alliance Sud befürwortet die Einführung von IATI. Dennoch bestehen innerhalb der DEZA offenbar starke Widerstande. In der bundesrätlichen Botschaft wird IATI trotz aller Versprechen mit keinem Wort erwähnt.
    Hingegen liegen die Vorteile der durch IATI möglichen Vergleichbarkeit auf der Hand: Noch kaum absehbar sind die sich eröffnenden Perspektiven für verbesserte Wirkungsorientierung: Erfolge und Misserfolge im Feld lassen sich über ganze Sektoren, Regionen, Ländergruppen und darüber hinaus vergleichen und analysieren. Die wäre ein Quantensprung bei der bisher chronisch dürftigen Datenlage zur Wirkungsevaluation, wie er noch nie dagewesen ist.
  2. Mehr Wettbewerb durch stufenweise Öffnung des Marktes für Beratungs- und Durchführungsleistungen im Bereich Entwicklungszusammenarbeit innerhalb der Schweiz. Dieser umfasst jährlich 140 Millionen Franken und beschäftigt einige Hundert Anbieter. Nur ein Dutzend von diesen aber erhalten den grössten Teil davon (2010: 86%), siehe IDEAS-Analyse der Vergabepraxis DEZA 2010.
    Dies führt zu einem wettbewerbsfeindlichen Favoritismus, verbunden mit Innovationsdefiziten und mit den bei fehlendem Wettbewerb zu erwartenden Nachteilen bei den Kosten. Mehr Wettbewerb brächte einen Mehrwert für die Schweiz durch breitere Streuung von Know-how im internationalen (Entwicklungs)umfeld, sowie durch breitere Nutzung des kreativen Potentials (crowdsourcing). Ausschreibungen müssen weit öfter als bisher, Folgeaufträge sollten nur noch in engen Grenzen erfolgen. Bei Vergaben müssten kleine Agenturen und Neulinge die Chance bekommen, sich zu bewähren; bei freihändigen Vergaben müsste ein Zufallsprinzip spielen. Die Zuteilung müsste von den Beziehungen und Interessen der beteiligten Beamten befreit erfolgen.

Mittelfristige Massnahmen

Verbesserte Transparenz und mehr Wettbewerb käme der gesamten Organisationskultur zugute. Sie könnte stark beitragen zu zielorientiertem Handeln, Abbau von Verzettelung und Konzentration auf Wesentliches. Mittelfristig aber könnte die EZA zu einem wichtigen und respektierten Instrument der Schweizer Welt-Aussenpolitik werden. Dies wird einiges an Arbeit erfordern. Der Anstoss könnte aber ab jetzt durch Einbringen entsprechender Postulate mit Eckdaten und Terminen für Etappenziele gegeben werden:

Besinnung auf die Kernkompetenzen

Die betroffenen Bundesämter sollten zurück zu ihren Kernkompetenzen finden oder sich diese erarbeiten unter Mitwirkung ihrer Departemente. Welches diese sind, wäre nicht von den Ämtern selber zu bestimmen, sondern durch Parlament und öffentliche Debatte aufgrund der Zielvorgaben im Entwicklunghshilfegesetz, an die man sich bei dieser Gelegenheit getrost wieder einmal erinnern kann. Vier wünschenswerte Kernkompetenzen gibt es anzuführen:

Diplomatischer Dialog: Zum einen betrifft dies verstärkt diplomatisch-konsularische Aufgaben. Hierhin gehören namentlich Sicherstellung zwischenstaatlicher Kommunikation, Schutzfunktionen für Projekte und „Feldmitarbeiter“, sowie „Policy-Dialog“ zur Erörterung staatlicher Grundleistungen auf ministerieller Ebene, wie sie auch in der genannten Studie angemahnt werden. Solche Funktionen dürften länderspezifisch wünschbar sein in „fragilen Staaten“ und anderen, wo die Schweiz besondere Ziele oder Interessen verfolgt, etwa Partner von Ländergruppen bei IMF und Weltbank. Hier könnten die bisher vorwiegend als ausgelagerte Verwaltungszentren wirkenden Koordinationsbüros der DEZA ihre wesentliche Aufgabe finden, und dies in geringerer Zahl und mit kürzerer Präsenzperspektive als bisher.

WTO-Position: Der zweite, damit verbunden, wäre die Pflege der Schweizer Positionen gegenüber den Bretton Woods- und UN-Institutionen verbunden mit der Verwaltung der entsprechenden Budgets. Auch hier wäre einiges zu tun, die Beziehungsnetze aus den längst gewachsenen verwaltungstechnischen Verflechtungen herauszuheben und zu einem Aufgabenbereich mit politisch klaren Vorgaben zu machen. Diese böten den Rahmen, in dem Höhe und Zweckbestimmung der Geldbeiträge in politischem Prozess erarbeitet würde.

Governance: Dritter Kompetenzbereich wäre die Kooperation von Regierungsstelle zu Regierungsstelle: Unterstützung staatlicher Schlüsselfunktionen wie Rechtspflege, Bildungspolitik, Polizeiwesen, Korruptionsbekämpfung, Governance. Alles begleitet von einem energischeren, auch in der erwähnten Evaluation angemahnten „Policy-Dialog“. Zuständige Bundesämter könnten federführend und durch Eigenerfahrung fundiert, EDA und DEZA ausführend wirken. Bedingung wäre allerdings auch mehr Mut als bisher beim Ansprechen von Problemen.

Verwalten statt herrschen:  Die vierte Kernaufgabe betrifft grundlegende Verwaltungsaufgaben, wie sie eigentlich immer sicherzustellen wären: Koordination und Informationsaustausch mit Akteuren, Controlling, Qualitätssicherung, und Berichterstattung. Der Bereich ist anspruchsvoll, weil es sich um weit divergierende Themen, unterschiedliche geografische Gebiete, und eine grosse Zahl unterschiedlicher Akteure handelt. Politik und Wissenschaft müssten das Ihre beitragen, um die Bundesämter nicht allein zu lassen: Schon die eben jetzt neu veröffentlichte DEZA-Evaluation berichtet, dass die DEZA-Kader mit den vergleichsweise geringen Anforderungen in Bezug auf „fragile Staaten“ schnell überfordert reagierten. Bei tiefgreifenderen Reformen dürfte dies noch stärker der Fall sein, was langfristige Bemühungen erwarten lässt.

Evaluationen von Entwicklungsarbeit

Der Begriff „Evaluation“ wird ebenso oft wie unterschiedlich definiert. Man muss stets vorsichtig bleiben: Wird ein Gesamtes „evaluiert“, inklusive Ergebnisse, oder nur Teile wie einzelne Prozesse, Personen? Je nachdem ist die Aussagekraft stark eingeschränkt. Ein internationaler Standard existiert nicht.

Ist es möglich, Evaluationen von Entwicklungsarbeit so vergleichbar zu gestalten, dass sich daraus ein universeller Standard ableiten liesse? AidRating sagt: ja. Hier die wichtigsten Anforderungen und unsere Methodik des Transparenzratings.

Alliance Sud unterstützt Petition für mehr Transparenz in der Entwicklungszusammenarbeit

Alliance Sud ist zu den Unterstützern der Petition für mehr Transparenz in der Entwicklungszusammenarbeit gestossen! Das haben wir soeben von makeaidtransparent.org erfahren. Willkommen an Bord, Alliance Sud!

11. September: Feuer in den Elfenbeintürmen

Terroristen sind dieser Tage nicht am Werk, keine Menschenleben sind in Gefahr. Doch das Bild drängt sich heute auf: Die selbstgewählten Elfenbeintürme der DEZA und der Entwicklungs-NGOs wackeln bedenklich.

Die Geschäftsprüfungskommission des Ständerates (GPK-S) hat soeben Empfehlungen betreffs Zusammenarbeit mit NGOs besonders an die Adresse der DEZA gerichtet, die es in sich haben, und fordert den Bundesrat auf:

  1. Für die Anwendung wettbewerblicher Vergabeverfahren zu sorgen.
  2. Massnahmen zur Verbesserung der Kontrollmechanismen zu treffen, um das Risiko der Zweckentfremdung der für NGOs gesprochenen Mittel einzuschränken.
  3. Bezüglich der Kriterien bei der Wahl der zu unterstützenden NGO-Programme und vor allem bei der Festlegung der Höhe der Finanzhilfen für mehr Klarheit und Transparenz zu sorgen.
  4. Zu prüfen, inwiefern die gesetzlichen Grundlagen der Entwicklungszusammenarbeit die heutigen Anforderungen … erfüllen.¨
  5. Darauf hinzuwirken, dass die Gesetze und Vorgaben innerhalb eines Tätigkeitsbereichs einheitlich angewendet werden.

Nachdem man uns bei AidRating bisher ausgegrenzt und unsere Seriosität in Zweifel gezogen hat, sehen wir unsere Befunde in wesentlichen Teilen von offizieller Seite bestätigt: Monopole, kartellartige Strukturen, kaum Transparenz.

Die DEZA und die von ihr bevorzugte Zertifizierungsstelle ZEWO, deren Versagen im eigenen Kernbereich offensichtlich wird, schweigen auf ihren Homepages bisher (11.9.09) betreten dazu.

Der Bundesrat sollte bis Februar 10 Stellung nehmen. Wir sind gespannt!

Afro-Pfingsten – an Afrika vorbei?

In der NZZ ist ein beissend-nachdenklich-provokanter Beitrag erschienen zum Afrikabild, das an Afro-Pfingsten transportiert wird.

Der Autor hat da in vielem recht. Bin beeindruckt und fühle mich herausgefordert. Aber die Atmosphäre an Afro-Pfingsten und die Konzerte –besonders am Sonntag- möchte ich dennoch nicht missen. Wenn ich’s mir recht überlege: Ich möchte mehr. Von beidem.

Für meine Emotionen: Die Gerüche, die Musik, die Leute, die entspannt wie selten durch die Gassen schlendern.

Für meinen kritischen Intellekt: Die sarkastischen Fragen zu unserem Afrika-Bild, getrübt durch Klischees und Gönnerhaftigkeit, und zur Selbstverantwortung der Afrikaner.

Jan Stiefel

Mikrokredite: Medizin oder Gift?

Afro-Pfingsten 2009 in Winterthur war im Jubiläumsjahr 2009 ein Publikumserfolg.

Der Anspruch steigt auch in entwicklungspolitischer Hinsicht: Es geht ja um „Eine Welt“. Er sollte schon am Eröffnungsabend bekräftigt werden: Es gab eine Podiumsdiskussion mit Thema „Mikrokredite“. Nur: die Botschaft kam einseitig Pro heraus, und so scheint es, dass sich der Organisator mit dem heiklen Thema übernommen hat.

Nachdem 2006 Mohammed Yunus, Gründer der Grameen-Bank aus Bangladesh, den Friedensnobelpreis bekommen hat, scheint die Vergabe von Mikrokrediten als vermeintliche Lösung schlechthin für alle Entwicklungsfragen in Mode gekommen zu sein.

So war auch der Eindruck mindestens der ersten Hälfte des Abends: Drei Funktionäre von Finanzinstituten, alle mit „Responsibility“ in irgendeiner Form dekoriert, und ein Vertreter von Worldvision erörterten, „woher das Geld kommt“ und „wohin es geht“. Der Moderator war ebenfalls Vertreter einer Mikrokreditfirma, unter Vertrag mit Swisscontact.

In der ersten Halbzeit hätte man sich in einem Seminar für Bankwesen wähnen können. Es ging um die Attraktivität für Investoren, inklusive von Hilfswerken, die ihre Reserven offenbar gewinnbringend anlegen wollen. Also die Renditen, und die Krisensicherheit. Derzeit –wie geschickt angemerkt wurde- besser als andere Papiere. Auch warum „Mikrofinancing“ ein weiter gefasster Begriff ist als „Mikrokredite“ war zu erfahren (weil mehr Massnahmen enthaltend).

Wohin genau und an wen solche Kredite gehen, war schon weit weniger deutlich. Nicht einmal die Grösse dessen, was als „Mikrokredit“ zu gelten hat, wurde recht klar. Es scheint alles möglich zwischen ein paar Dutzend und ein paar Millionen Dollar. Und sie brauchen offenbar nicht nur für produktive Gewerblerinnen reserviert zu bleiben: Auch für den Konsum, etwa Motorroller und Handys, werden solche inzwischen vergeben.

Zwar erfahren wir, dass Frauen bei weitem bessere Schuldnerinnen seien als Männer (Interessant für Investoren). Und: Mikrokredite müsse man besonders gut managen. Dann brächten sie schon die gewünschte Rendite.

Zumindest für die Mikrokreditfirmen und ihre Investoren. Deren Rechnung scheint zu stimmen. Schliesslich kann man die „hohen Verwaltungskosten“ ja bei den Schuldzinsen draufschlagen. Es ging ein Raunen durch den Saal, als vom ghanaischen Podiumsteilnehmer Pat Dobe zu hören war, dort werde ein Schuldzins von rund 32% verlangt. Allerdings bei einer Inflation von rund 20%, wie schnell nachgeschoben wurde.

Immerhin: World Vision und dann auch andere bestätigten auf Einwände hin, dass Mikrokredite nur als Teil eines gut koordinierten Bündels von Massnahmen sinnvoll seien. Man wisse, dass Mikrokredite nicht geeignet seien, „alle“ Probleme zu lösen.

Aber reicht es, Mikrokredite einfach in “begleitende Massnahmen” einzubetten? Wir meinen: Es sollte auch darüber geredet werden, wo Mikrokredite nicht hingehören. Weil sie -wie jedes Instrument- in gewissen Situationen nicht taugen.

Wer sich in Entwicklungsfragen auskennt, weiss: Mikrokredite können auch zerstörerisch wirken. Sie können etwa durch kulturfremde Monetarisierung traditionelle Solidaritätsmechanismen verdrängen. Falsche Anreize setzen. Und neue Abhängigkeiten und Risiken schaffen. Davon hätte auch die Rede sein müssen.

Aber- wie der Freund aus Ghana so schön zeigte- beim Wort „Risiken“ kamen ihm nur jene für die Bank selber in den Sinn. Zeitungsartikel Landbote mit Interview zum Thema hier Mikrokredite sind oft das falsche Rezept.

Jan Stiefel