Mumpitz bar auf die Kralle

Anything goes, wenn man auf sich aufmerksam machen will. Das dachte ich zunächst, als ich den folgenden Beitrag im NZZ Folio las.

Unter der Rubrik „Das Experiment“ erzählt Journalist Reto U. Schneider von einem Sozialexperiment in einer kleinen Gemeinschaft am Viktoriasee in Kenia. Einem Teil des Gemeinwesens wurden ohne weitere Bedingungen umgerechnet Fr 250.- ausgehändigt. Dann wurde beobachtet, was mit dem Geld gemacht wurde. Ein paar der Beschenkten kauften nützliche Dinge. Jene, die das Experiment durchführten, waren von einer Organisation, die Geld direkt an Arme verteilt. Das Ergebnis des „Experiments“ war da genehm.  Es wird nun angepriesen als Beleg, dass es besser sei, Armen Geld direkt zu verteilen, statt aufwendige Projektarbeit zu leisten.

Hier der Beitrag im „NZZ Folio“ von November 2014.

Kommentar:

Ersinne ein Experiment, bei dem du Ausgangslage und Fragestellung extrem vereinfachst (Grasdach = arm; erhoffter Kaufentscheid = Erfolg), verabreiche den Auserwählten eine mächtige Dosis deiner Medizin (Geld), den anderen aber nicht, und erkläre das Aufsehen, das du dabei erzeugst, als für das Ergebnis völlig bedeutungslos.

Tu dann so, als ob du die Nebenwirkungen mit einbezögst („Neid kam kaum vor“) aber ignoriere alles übrige, und wähle den Beobachtungszeitraum gerade lang genug, dass sich bei der ausgewählten Teilgruppe ein maximaler Effekt in deinem Sinn messen lässt. Du kannst dabei (weitgehend zu recht) darauf vertrauen, dass die meisten deiner Leser genau wie du sich nur ichbezogen-ökonomische Entscheide nach eigenem Denkmuster als „richtig“ vorstellen können.

Veröffentliche dann dein Labor-Ergebnis durch die richtigen Kanäle als neue Erkenntnis, die ab sofort und möglichst umfassend anzuwenden sei. Du kannst sicher sein: Bei dem vielen Staub, den du aufwirbelst, kannst du für das „neue und innovative Entwicklungsmodell“ reichlich Geld sammeln. Zumindest aber bist du berühmt, lange bevor Heerscharen weiterer Wissenschaftskollegen in weiteren teuren Experimenten zum Schluss gelangen, dass die Sache nicht ganz stimmen kann. Du aber bist dann schon so weit oben auf der Erfolgsleiter, dass dich keiner mehr herunterzuholen wagt.

So läuft vieles, was sich „Wissenschaft“ nennt. Und so wurde und wird in komplexen Problemfeldern wie es EZA ist schon viel Unheil angerichtet.

2 Kommentare
  1. Jonas Vollmer, Stiftung für Effektiven Altruismus
    Jonas Vollmer, Stiftung für Effektiven Altruismus says:

    «Ersinne ein Experiment, bei dem du Ausgangslage und Fragestellung extrem vereinfachst (Grasdach = arm; erhoffter Kaufentscheid = Erfolg)»

    Grasdach = arm ist eine sinnvolle Annahme (Kenianer mit Grasdach leben im Durchschnitt von $0.65 pro Tag, nominal). Sehr viele EZA-Projekte versuchen nicht einmal, gezielt nur arme Haushalte zu versorgen, sondern unterstützen teilweise auch wohlhabendere Personen.

    Der Kaufentscheid wird nicht mit Erfolg gleichgesetzt, sondern die Entwicklung des Vermögens und Einkommens – die Studie wurde ja genau durchgeführt, um solche Effekte messen zu können.

    «verabreiche den Auserwählten eine mächtige Dosis deiner Medizin (Geld), den anderen aber nicht»

    Dabei handelt es sich um ein vorbildliches Experiment. Ähnliche Experimente wurden in zahlreichen Kontexten wiederholt und haben ähnlich positive Effekte erzeugt.

    «Tu dann so, als ob du die Nebenwirkungen mit einbezögst („Neid kam kaum vor“) aber ignoriere alles übrige»

    Das gilt für jede Form der EZA: Gewisse Vereinfachungen müssen gemacht werden. Meistens werden diese Fragen nicht einmal gestellt. Dass dies hier der Fall ist, sollte unser Vertrauen ins Projekt stärken, nicht mindern.

    «und wähle den Beobachtungszeitraum gerade lang genug, dass sich bei der ausgewählten Teilgruppe ein maximaler Effekt in deinem Sinn messen lässt.»

    Die Studie wurde im Voraus registriert, entsprechend wäre es nicht möglich gewesen, den Beobachtungszeitraum von der Effektgrösse abhängig zu machen. Und selbst wenn dem nicht so wäre: Diese Form des Betrugs zu unterstellen, ist äusserst unfair, gibt es doch keinerlei Indizien dafür.

    «Du kannst dabei (weitgehend zu recht) darauf vertrauen, dass die meisten deiner Leser genau wie du sich nur ichbezogen-ökonomische Entscheide nach eigenem Denkmuster als „richtig“ vorstellen können.»

    Arme Menschen kennen ihre eigene Situation und ihre eigenen Bedürfnisse am besten. Die EZA erhält nicht zu Unrecht teilweise den Vorwurf, sie sei kulturimperialistisch/missionarisch motiviert – direkte Geldtransfers sind das genaue Gegenteil davon, sie legen die Entscheidungsmöglichkeit in die Hände der Bedürftigen. Natürlich kann man sich darüber streiten, ob dies wirklich besser ist als traditionelle EZA; das als „ichbezogen“ abzutun scheint mir hier aber völlig unangebracht.

    «Veröffentliche dann dein Labor-Ergebnis durch die richtigen Kanäle als neue Erkenntnis, die ab sofort und möglichst umfassend anzuwenden sei. Du kannst sicher sein: Bei dem vielen Staub, den du aufwirbelst, kannst du für das „neue und innovative Entwicklungsmodell“ reichlich Geld sammeln. Zumindest aber bist du berühmt, lange bevor Heerscharen weiterer Wissenschaftskollegen in weiteren teuren Experimenten zum Schluss gelangen, dass die Sache nicht ganz stimmen kann. Du aber bist dann schon so weit oben auf der Erfolgsleiter, dass dich keiner mehr herunterzuholen wagt.»

    Solche Experimente machen nur dann Sinn, wenn die gewonnenen Resultate auch in die Praxis umgesetzt werden. Dafür braucht es natürlich Geld. Insofern ist dieser Effekt wünschenswert. Die Tatsache, dass manchmal aufgrund dünn gesäter Evidenz bereits viel Geld fliesst, ist natürlich ein Problem – das spricht aber nicht gegen den wissenschaftlichen Ansatz, sondern dafür, dass mehr Studien durchgeführt werden sollten, damit die Resultate verlässlicher sind.

    «So läuft vieles, was sich „Wissenschaft“ nennt. Und so wurde und wird in komplexen Problemfeldern wie es EZA ist schon viel Unheil angerichtet.»

    Ohne wissenschaftlichen Ansatz tappen wir in komplexen Problemfeldern komplett im Dunkeln. Die grössten Erfolge der EZA sind oft stark wissenschaftlichen Ansätzen geschuldet (z.B. die grossen Fortschritte in der Malariaprävention, HIV-Behandlung oder Pocken-Eradikation), während bekannte Misserfolge praktisch immer auf unwissenschaftlichen Ansichten beruhen (vom PEPFAR-Abstinenzprogramm bis zu PlayPumps). Das Unheil entsteht also vor allem durch unwissenschaftliches Vorgehen (und manchmal vielleicht auch durch eine offensichtlich schlechte Anwendung der wissenschaftlichen Methode).

    Antworten
    • IDEAS
      IDEAS says:

      zunächst direkt an Jonas Vollmer geschickt am 20. Juni 2016
      Lieber Herr Vollmer

      ich war sehr beschäftigt mit anderen Dingen. Dennoch wollte ich Ihnen sorgfältig antworten, denn immerhin setzen Sie sich mit der Sache vertieft und engagiert auseinander- etwas, was man nicht von allzu vielen behaupten kann. So musste ich mich wieder einlesen in die Sache mit „Give Well“ usw., die mich vor Jahren kurz beschäftigt hatte, um Ihnen meine Kritikpunkte zu erläutern. Ich danke Ihnen auch für die freundlichen Worte zu unserer Arbeit.
      Aus den Anmerkungen sind drei Teile geworden:

      Als erstes habe ich einen Text aktualisiert und hier für Sie eingestellt, den ich seinerzeit als Reaktion auf den Bericht im NZZ Folio entworfen habe. Möglicherweise habe ich ihn veröffentlich, bin aber nicht mehr sicher.

      Der zweite Brocken enthält Ausführungen zu grundsätzlichen Entwicklungsfragen, wie sie sich mir bei Lektüre Ihrer Stellungnahme aufdrängten.

      Der dritte Teil enthält spezifische Antworten zu den von Ihnen vorgebrachten Argumenten.

      Ich hoffe, Sie können mit dieser wenig geordneten Aufstellung dennoch etwas anfangen:
      1. Give Directly
      Der im Artikel beschriebene Ansatz ist geeignet, Leute zu beeindrucken, die eine Schwäche für einfachste Lösungen haben und sehr wenig Ahnung von Entwicklungsfragen. Einfache Lösungen und Entwicklungsfragen- diese beiden passen selten zusammen, und hier ist das exemplarisch der Fall.
      Ich habe mir damals die Mühe genommen, die Studie („Policy Brief“) von Haushofer und Shapiro zu lesen (siehe. http://www.givewell.org/international/technical/programs/cash-transfers#sources1020) Deren Ergebnisse nämlich liegen der ganzen „Give Directly-Philosophie“ und der daraus abgeleiteten Gewissheit von „Give Well“ zugrunde: Bedingungsloses Geldverteilen an Individuen hätte in einem „armen“ Gebiet einen messbaren „Impact“, also günstige Wirkung.
      Aufwendig werden in der Studie verschiedene Parameter untersucht: Fahrhabe der Betroffenen, ihr Konsum, Lebensmittelsicherheit, und andere. Alle auf den privaten Haushalt und nur diesen bezogen. Dies alles zu erheben muss ein Vermögen gekostet haben.
      Mit dem selben Fokus (Haushalt) wird gezeigt, dass die Aktionen deutliche Verbesserungen bringen. Was zu beweisen war, ist also bewiesen, so scheint es auf den ersten Blick. Wenn da nicht einige Dinge wären, die dabei völlig ausser acht gelassen worden sind.
      Das Wichtigste vorweg: Die Studie betrachtet zwar Einzelhaushalte, geht aber auf die Lage vor Ort überhaupt nicht ein, schon gar nicht mit einem einigermassen gesamtheitlichen Blick- Ökologisches Umfeld, Quellen der Lebenshaltung, Klima, soziale Struktur, Ethnien, aktuelle Konfliktfelder (siehe unten) werden völlig ignoriert.
      Hingegen werden die einzelnen Haushalte zur wichtigsten Einheit erklärt (ohne Herleitung oder auch nur Begründung). Für diese werden ein paar ökonomisch messbare Parameter wie Haushaltseinkommen, Konsumgewohnheiten herausgepickt, und diese werden dann ohne weitere Begründung zur Vergleichsgrundlage, der „Baseline“.
      Dann vergleicht die Studie die „Wirkung“ ihrer Geldgaben mit den zuvor herrschenden Bedingungen (der „Baseline“, wohlgemerkt, bezogen auf Einzelhaushalte) über einen Zeitraum von knapp einem Jahr nach dem Zeitpunkt der Geldverteilung. Teilweise sind die monatlichen Geldgaben (immerhin 32 US $) sogar noch im Gang. Es wird also zeitnah oder noch während der laufenden Aktion „Wirkung“ gemessen.
      Hierzu wäre zu bemerken: es wäre auch ohne Studie so gut wie sicher, dass während oder kurz nach dieser Geldverteilung die Empfänger etwas mehr konsumierten, etwas entspannter wären, und die Kinder besser genährt.
      Im Entwicklungskontext ist „Wirkung“ eine oft missverstandene Grösse. Zumindest im Englischen wird sie differenzierter umschrieben. In seinem Lebenszyklus zeitigt ein Projekt typischerweise als erstes Ergebnisse, die man als „Output“ bezeichnet: Brunnen oder Gebäude entstehen, Büros werden eingerichtet, Fahrzeuge werden angeschafft, vielleicht Produktionsmittel verteilt. Oder, wie hier, Geld.
      Nach einiger Zeit, mindestens ca. 2 bis 3 Jahren, erhofft man sich erste sichtbare Wirkungen bei der Zielgruppe: Zum Beispiel, dass soundso viele Bauern jetzt die neue Sorte anbauen, soundso viele Mechaniker ausgebildet, Bäume gepflanzt sind, oder ähnliches. Das wird „outcome“ genannt.
      Beide bisherigen bedeuten aber nicht, dass eine echte und langfristig sich erhaltende nachhaltige, also auch ohne neue Subventionierung bleibende, Veränderung der Lebensumstände erfolgt. Natürlich in einem positiv gewerteten Sinn. Nur diese verdient „impact“ genannt zu werden. Sie aber ist stets das Ziel jeder Intervention, die sich als „Entwicklung“ legitimieren will. Solches wird erst nach Jahren, auch bei optimistisch arbeitenden Projekten nicht vor 3, eher 5 Jahren, erreicht: Dann erst lässt sich „Impact“ erkennen: Ob nun ein höherer Prozentsatz der Menschen Arbeit findet, ob die Leute auf Dauer hygienischere Massnahmen treffen und dadurch gesünder sind, ob die Bauern neue Methoden, Produkte und Absatzmärkte erschlossen haben, kurz- ob sie sich darauf verstehen, sich in ihrem Umfeld besser zu behaupten als zuvor. „Impact“ heisst: Langzeitwirkungen. Sie sind ebenso wichtig wie schwer zu messen.
      Nur diese letzten verdienen, als „Impact“ bezeichnet zu werden. Was „Give Directly“ hier als „Impact“ bezeichnet, erreicht bestenfalls den ersten Schritt, den „Output“. Weil sonst keine Verbesserung an den vorherrschenden Verhältnissen erreicht, ja auch gar nicht angestrebt wird, bedeutet das lediglich: Beibehalten des Status Quo. Das vermeintlich neue Konzept erweist sich als alter Hut: Früher nannte man das „Almosengeben“ oder, etwas moderner, „Verrentung“.

      Noch etwas zu den „vorherrschenden Verhältnissen“: Die Studie wurde im westlichen Kenia durchgeführt, vor allem um die Gemarkung Rarieda am Viktoriasee. Die Lebensumstände dort werden kaum thematisiert. Wenn man der Sache nachgeht, handelt es sich um eine Gegend mit Savanne und wahrscheinlich ausgeprägter Trockenzeit. Beides ist typisch für ein traditionelles Viehzuchtgebiet. Es lässt sich aus der Literatur erfahren, dass dort nun auch Baumwolle und andere Cash Crops angebaut werden, in Konkurrenz zur Viehzucht. Dies und die steigenden Bevölkerungszahlen dürften Druck auf die Lebensgrundlage, das Weideland, erzeugen und für den Einzelnen den Zugang erschweren.
      Ein echtes Entwicklungsprojekt würde diese Zusammenhänge untersuchen und nach Strategien suchen, den Auswirkungen zu begegnen. Wenn man sieht, wie von alledem in den ganzen Texten nie die Rede ist, dafür von Kaufkraft, Amortisation und ähnlichem, darf man davon ausgehen: Die Autoren wie die Befürworter von „Give Directly“ haben von der zugrunde liegenden Problematik nicht die leiseste Ahnung.

      2. Evidenzbasierter Altruismus
      Gedanken, wie sie mir nach Lektüre Ihrer Texte kamen:
      Ich möchte warnen vor dem in Ihrem Text durchscheinenden Relativismus, wenn Sie den von Ihnen verteidigten Ansatz (Give Directly) mit „traditioneller EZA“ vergleichen- denn es gibt nicht einerseits „traditionelle EZA“ und andererseits „evidenzbasierte“. Das wäre eine nur durch unzulässige Vereinfachung mögliche Behauptung.
      Wenn Sie sich aber in der Materie umsehen, dann werden Sie sehen: Es gibt eine ungeheure Vielzahl von Ansätzen, die scheinbar sehr unterschiedlich sind, aber vor allem darauf beruhen, dass den Menschen in den Zielländern irgend etwas zugeteilt wird, das sie nach Meinung der Geber nötig haben. Typische Praktiken sind etwa: vergünstigte oder kostenlose Zuteilung von Gütern (Immobilien, Lebensmittel, Ausrüstungen, Vieh, Saatgut oder beliebigen sonstigen Produktionsmitteln), die alle auch geldwert und damit mehr oder weniger handel- und tauschbar sind, und Dienstleistungen, unter anderen auch solchen, die tatsächlich nachgefragt würden. Ihr „evidenzbasiertes“ Rentenwesen ähnelt dieser Denkart mehr als Ihnen lieb sein sollte.
      Im Gegenteil: Alle diese Ansätze haben, ebenso wie der bei Ihnen favorisierte, ein Element des Paternalismus zu eigen, also einer Haltung, wo man davon ausgeht, dass „denen etwas fehlt“, was man ihnen mit den gutgemeinten Gaben dann mehr oder weniger gönnerhaft auszugleichen meint. Daran ändert nichts, dass die Leute vermeintlich selber entscheiden können, was sie kaufen wollen- auch andere Güter sind handel- oder tauschbar. Und sie werden auch gehandelt, wie Sie in fast jedem Land des Südens beobachten können- Sie müssen nur am richtigen Ort nachsehen. Vermeintlich übrigens deshalb, weil wir die Frage, ob sie wirklich nur kaufen, was sie wollen, oder ob ihrer Auswahl sonstige Grenzen gesetzt sind, noch nicht einmal angekratzt haben.
      Es gibt durchaus Ansätze in der EZA/IZA, die da anders sind. Wenn dem nicht so wäre, hätte ich die Thematik längst aufgegeben und mich ergiebigeren Themen zugewandt. Das Gemeinsame solcher Ansätze ist: Sich ein vertieftes Verständnis der Gegebenheiten vor Ort verschaffen, und sich nur gemeinsam mit den „Zielgruppen“ (besser: Partnern) Ziele setzten, dies in Zusammenarbeit auf Augenhöhe, und dann diese Ziele mit vereinten Kräften und von der Gemeinschaft getragen erarbeiten.
      Weiter gemeinsam ist solchen Projekten das unscheinbare, medial fast nicht „verwertbare“ Auftreten, die lange Dauer, die aus verschiedenen Gründen meist sich verändernden Prioritäten und- was viele nicht gerne hören: die Tatsache, dass Geld und geldwerte Transfers nicht im Zentrum stehen, ebensowenig wie die eine oder andere Technologie. Letzteren haben kein Primat, sondern sind allenfalls nach Bedarf hinzugezogene oder auch wieder verworfene Hilfsmittel. Da nur sehr selten Brauchbares über konkrete Projekte zu erfahren ist (Ein Umstand, den wir u.a. mit unserem Transparenzrating zu verändern suchen), ist es auch schwierig, dazu Beispiele zu finden. Konkret fallen mir dazu einzelne Aktivitäten von Oxfam ein, vielleicht hin und wieder auch von swissaid (die mir allerdings oft zu ideologisch erscheinen), oder von Biovision. Es mag auch noch weitere geben.
      Wenn Sie dann fordern, man müsse stets „vereinfachen“, muss ich mit grösster Entschiedenheit widersprechen. Es gehört just zu den Charakteristika schlechter Entwicklungsarbeit, erst einmal eine Problematik „vereinfacht“ zu sehen und dann eine vermeintliche „Lösung“ für das vereinfacht gesehene Problem zu suchen. Da ist der Ihnen so liebe Ansatz in grosser schlechter Gesellschaft.
      Wenn Sie konkrete Kenntnis von irgend einem Kontext haben, werden Sie bald sehen: Nie ist etwas so, wie es auf den ersten Blick erscheint. Sie werden früh genug lernen müssen, Ihre Ansätze aufgrund neuer Erkenntnisse anzupassen oder sogar ganz zu ändern, um ein gewünschtes Ziel doch noch zu erreichen. Etwas, das im eindimensional starren Ansatz des Beispiels hier nicht einmal möglich wäre, ausser durch Abbruch der Übung.
      Grundfalsch wäre es, sich mit „Vereinfachungen“ zu begnügen, nur um möglichst rasch das Geld „vor Ort zu bringen“ oder „Ergebnisse“ vorzeigen zu können. Sie verteidigen Vereinfachungen, weil man sie ja „machen müsse“. Was wollen Sie damit sagen? Etwa dass man ohne sie nicht rasch genug zu Ergebnissen kommt? Woher, wenn nicht durch sorgfältige Prüfung, nehmen Sie denn die Gewissheit, dass nicht gerade die von Ihnen gemachten Vereinfachungen ein anderes als das gewünschte Ergebnis bringen?
      Sie wissen doch: Vereinfachungen können vielerlei heissen. Es mag für eine Versuchsanordnung sinnvoll sein, einige Parameter in vereinfachter Form „anzunehmen“, weil man sonst den Versuch nicht durchführen könnte. Dann aber gehört es zur wissenschaftlichen Redlichkeit, auf diese Vereinfachungen ausdrücklich hinzuweisen und sie zu erläutern. Ebenso gehört es sich dann, ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass wegen dieser „Annahmen“ die Aussagekraft möglicherweise erheblich eingeschränkt ist. Gerade das erfolgt im diskutierten Beispiel keineswegs. Im Gegenteil: Es wird darüber hinweggesehen. Dennoch werden danach die Ergebnisse auf eine Weise verkauft, als hätte die Studie den Gegenstand umfassend geprüft. So etwas ist wissenschaftlich unsauber.
      Daraus folgt: Sie werfen uns hier zu Unrecht „Wissenschaftsfeindlichkeit“ vor. Richtig ist: Wir halten wissenschaftliches Arbeiten für wichtig und wertvoll, wenn sorgfältig vorbereitet, durchgeführt und dargestellt. Es gibt zuviel sogenannte „Wissenschaft“, die sich „Vereinfachungen“ der genannten Art gönnt und damit der Glaubwürdigkeit wissenschaftlicher Arbeit insgesamt schadet.
      So gesehen: wir nehmen es lieber genau. Zu sauberem wissenschaftlichen Arbeiten gehört, die Grenzen dessen genau zu kennen, also zu DEFINIEREN, was wir betrachten. Und dann auch ehrlich etwas dazu zu sagen, ob, warum, und bis zu welchem Grad von Ergebnissen einzelner Experimente sich weitreichende Handlungsempfehlungen ableiten lassen, wie es in Ihren Beispielen der Fall ist.
      Und weiter heisst es aus unserer Sicht: In der EZA mangelt es nicht in erster Linie an Geld, sondern an vertieftem Austausch, mehr Einsicht in die Zusammenhänge, mehr Mut zur Auseinandersetzung, und nicht zuletzt mehr Präsenz im „Feld“ gerade auch von unseren Leuten- warum nicht jungen wie Sie selber, wo es Gelegenheit gibt, die eigenen theoretischen Gebäude anhand hautnaher Erfahrung der Wirklichkeit zu überprüfen oder zu hinterfragen.
      Logisch, dass wir mit Ihrer Forderung nach „1%“ entsprechend wenig anfangen können. Wir brauchen keineswegs mehr Geld. Was wir brauchen, ist mehr Interesse und Verständnis für Zusammenhänge. Solche vor Ort ebenso wie solche zwischen unserem Lebensstil und dem der Menschen da unten. Wenn es schon um Geld gehen soll: Warum plädieren Sie nicht allenfalls dafür, mehr Geld zu investieren, um jungen Leuten einen sinnvollen Arbeitsaufenthalt vor Ort zu ermöglichen? (Interteam macht so etwas in der Art). Wenn sich junge Menschen in lobenswerter Weise wie Sie dafür engagieren wollen, dass das Los dem Menschen in der „Dritten Welt“ besser wird, dann gehen Sie da hin und setzen Sie sich mindestens zwei Jahre vor Ort, weg von den Annehmlichkeiten einer Hauptstadt, mit den Menschen und ihrem Umfeld auseinander. Sie können danach der Welt immer noch erklären, was besser gemacht werden sollte.

      3. Einige Anmerkungen zu Ihren spezifischen Aussagen:
      (zuerst Textteil von mir, wenn zitiert. Dann kursiv Ihre Aussage. Zuletzt mein derzeitiger Kommentar):

      Grasdach = arm ist eine sinnvolle Annahme (Kenianer mit Grasdach leben im Durchschnitt von $0.65 pro Tag, nominal).
      Sehr viele EZA-Projekte versuchen nicht einmal, gezielt nur arme Haushalte zu versorgen, sondern unterstützen teilweise auch wohlhabendere Personen.

      Danke für den Link. Wenn Sie die dortigen Eräuterungen lesen, wird schnell klar, dass die Protagonisten des Projektes bei der Kriterienwahl zu Tricks und Geheimniskrämerei greifen mussten, um zu vermeiden, dass sich „unerwünschte“ Anwärter zu potentiellen Empfängern machten („gaming“). Schon das müsste alle Warnlampen leuchten lassen: Die „Einwohner“ durften also nicht wissen, warum einige Familien begünstigt wurden und andere nicht. Give well entscheidet. Paternalistischer und fremdbestimmter könnte ein Ansatz wohl kaum sein. Das widerspricht jedem Verständnis von Vertrauensbildung und Partizipation, wie ich sie für Entwicklungsarbeit für unerlässlich halte. Nicht stichhaltig ist auch der Ansatz, dass „gezielt“ nur „Arme“ gemäss Definition des Projektes profitieren sollten, andere nicht. So eine Forderung kann nur stellen, wer an den Realitäten vorbei für andere bestimmen will, was gut für sie ist und was nicht.
      Vor allem wichtig ist:
      Es wird, wie ich schon ausgeführt habe, nicht ein Gesamtsystem und seine Problematik betrachtet und nach Wegen gesucht, diese zu lösen, etwa im Sinn von: Wie kann die wirtschaftliche Lage in der gesamten Region auf eine bessere Basis gebracht werden. Nein, es werden an ausgewählte Haushalte Geldgeschenke oder Renten ausgerichtet. Diese werden also zu einer Art Sozialhilfeempfängern gemacht. Sozialhilfe- und Rentensysteme haben aber die Eigenschaft, durch ein bisschen Umverteilen nichts am Status quo zu ändern, sondern diesen eher noch zu zementieren. Nach Ende der Verteilaktion bleiben die Leute wieder sich selbst überlassen.
      So etwas ist nicht Entwicklungshilfe, sondern altbekanntes Almosenverteilen in vermeintlich moderner Form.
      Womöglich ist das Ganze noch schlimmer: Wenn man annimmt, in der Region lebe eine einigermassen traditionell gesonnene Gesellschaft, dann ist auch anzunehmen, dass bei diesen „Traditionen“ gepflegt werden. Auch solche, die von aussen unverständlich oder gar lächerlich wirken. Ein Grosseil dieser Traditionen trägt aber zum inneren Zusammenhalt und zu Interessenausgleich in der Gruppe bei. Das braucht nicht offensichtlich zu sein, oft ist deren Sinn auch den Menschen selber nicht bewusst. Es gibt in solchen Gesellschaften beispielsweise Wege, dafür zu sorgen, dass es niemandem allzu schlecht geht, dass der Zugang zu Ressourcen wie Wasser oder Weideland allen offensteht, dass „Reichere“ mehr Gemeinschaftsarbeit leisten müssen, dass bei Krankheit niemand allein bleibt, und ähnliches. Auch bei uns hier gibt es Überreste, etwa das Allmendwesen, Wasser- oder Alpkorporationen, und weitere.
      Es kann ja sein, dass mehr nötig wäre als diese Traditionen leisten können. Wenn aber ein Projekt, wie es hier bei all der ausgiebigen Berichterstattung den Anschein macht, solche Möglichkeiten völlig ausser acht lässt, riskiert es, in ein fragiles Gefüge zu pfuschen, dieses aus dem Gleichgewicht zu bringen und damit letztlich der Gemeinschaft als Ganzer zu schaden anstatt zu nützen. Und dies alles, ohne es überhaupt zu bemerken.

      Der Kaufentscheid wird nicht mit Erfolg gleichgesetzt, sondern die Entwicklung des Vermögens und Einkommens – die Studie wurde ja genau durchgeführt, um solche Effekte messen zu können.
      ich habe anderes nirgends behauptet.

      verabreiche den Auserwählten eine mächtige Dosis deiner Medizin (Geld), den anderen aber nicht

      Dabei handelt es sich um ein vorbildliches Experiment. Ähnliche Experimente wurden in zahlreichen Kontexten wiederholt und haben ähnlich positive Effekte erzeugt.

      Gemäss den abgegebenen Berichten kranken alle diese Experimente am selben: Erst von aussen bestimmen, welcher Haushalt etwas bekommt, denen dann eine Zeitlang Geld geben.
      Auch was positive Effekte sind wird von aussen bestimmt. Es strotzt alles nur so von Paternalismus und von westlichem Denken geprägter Gläubigkeit, zu wissen, was gut und richtig ist. Nicht der geringste Versuch ist erkennbar, die Gesamtsituation zu verstehen („warum ist die Region arm“) und daraus etwas abzuleiten.

      Tu dann so, als ob du die Nebenwirkungen mit einbezögst („Neid kam kaum vor“) aber ignoriere alles übrige

      Das gilt für jede Form der EZA: Gewisse Vereinfachungen müssen gemacht werden. Meistens werden diese Fragen nicht einmal gestellt. Dass dies hier der Fall ist, sollte unser Vertrauen ins Projekt stärken, nicht mindern.

      Vereinfachen als Voraussetzung? Auf keinen Fall darf das noch mehr um sich greifen, sonst sind wir bald wieder gleich weit wie die Kolonialherren vor 200 Jahren. Mehr siehe meine Ausführungen oben. Das mit dem Neid ist anscheinend noch schlimmer als in der Zusammenfassung eingestanden. Wie man erfährt, kam es wegen der Ungleichbehandlung zu erheblichen Spannungen und auch Diebstählen, wie in Ihrem Link weit unten zu lesen.

      und wähle den Beobachtungszeitraum gerade lang genug, dass sich bei der ausgewählten Teilgruppe ein maximaler Effekt in deinem Sinn messen lässt.

      Die Studie wurde im Voraus registriert, entsprechend wäre es nicht möglich gewesen, den Beobachtungszeitraum von der Effektgrösse abhängig zu machen. Und selbst wenn dem nicht so wäre: Diese Form des Betrugs zu unterstellen, ist äusserst unfair, gibt es doch keinerlei Indizien dafür.

      Entschuldigung, aber das klingt nun wie eine Ausrede! Man konnte wissenschaflichen Kriterien (Langzeitwirkung) nicht genügen, weil die Studie „im Voraus registriert“ worden sei? Letzteres klingt eher wie ein Indikator für unbedarfte Planung.
      Beachten Sie, dass wir nirgends „Betrug“ unterstellen. Wir versuchen im Gegenteil, die Mängel herauszuschälen. Ihr Vorwurf ist seinerseits unfair.

      Du kannst dabei (weitgehend zu recht) darauf vertrauen, dass die meisten deiner Leser genau wie du sich nur ichbezogen-ökonomische Entscheide nach eigenem Denkmuster als „richtig“ vorstellen können.

      Arme Menschen kennen ihre eigene Situation und ihre eigenen Bedürfnisse am besten. Die EZA erhält nicht zu Unrecht teilweise den Vorwurf, sie sei kulturimperialistisch/missionarisch motiviert – direkte Geldtransfers sind das genaue Gegenteil davon, sie legen die Entscheidungsmöglichkeit in die Hände der Bedürftigen. Natürlich kann man sich darüber streiten, ob dies wirklich besser ist als traditionelle EZA; das als „ichbezogen“ abzutun scheint mir hier aber völlig unangebracht.

      Wie erläutert, haben externe Methoden und Entscheide ein grosses Gewicht. Man meint also, zu wissen, wie vorgegangen werden soll. Schon das ist „ichbezogen“. Die „Zielgruppe“ wird dabei gar nicht als soziales Gefüge wahrgenommen, in dem es andere Dynamiken geben könnte als wir gewohnt sind. Nein, es wird ohne jegliche Reflexion von „Haushalten“ oder Familien ausgegangen, als lebten diese auf eine Weise nebeneinander her, wie es im Ursprungsland der Studienautoren der Fall sein mag. Man hat also die Neigung, eigene kulturelle Erfahrung für anderswo ebenso gültig zu halten. Das meine ich ebenfalls, wenn ich schreibe „ichbezogen“.

      Veröffentliche dann dein Labor-Ergebnis durch die richtigen Kanäle als neue Erkenntnis, die ab sofort und möglichst umfassend anzuwenden sei. Du kannst sicher sein: Bei dem vielen Staub, den du aufwirbelst, kannst du für das „neue und innovative Entwicklungsmodell“ reichlich Geld sammeln. Zumindest aber bist du berühmt, lange bevor Heerscharen weiterer Wissenschaftskollegen in weiteren teuren Experimenten zum Schluss gelangen, dass die Sache nicht ganz stimmen kann. Du aber bist dann schon so weit oben auf der Erfolgsleiter, dass dich keiner mehr herunterzuholen wagt.

      Solche Experimente machen nur dann Sinn, wenn die gewonnenen Resultate auch in die Praxis umgesetzt werden. Dafür braucht es natürlich Geld. Insofern ist dieser Effekt wünschenswert. Die Tatsache, dass manchmal aufgrund dünn gesäter Evidenz bereits viel Geld fliesst, ist natürlich ein Problem – das spricht aber nicht gegen den wissenschaftlichen Ansatz, sondern dafür, dass mehr Studien durchgeführt werden sollten, damit die Resultate verlässlicher sind.

      Nein, sie machen dann Sinn, wenn man ihre Möglichkeiten und Grenzen richtig einschätzt und entsprechende Konsequenzen daraus zieht, inklusive die Möglichkeit, aufzuhören. Im Übrigen: es braucht nicht mehr „Studien“ dieser Art, sondern mehr Auseinandersetzung mit den Armutsursachen, und mehr Empathie. Siehe auch meine Ausführungen weiter oben.

      So läuft vieles, was sich „Wissenschaft“ nennt. Und so wurde und wird in komplexen Problemfeldern wie es EZA ist schon viel Unheil angerichtet.

      Ohne wissenschaftlichen Ansatz tappen wir in komplexen Problemfeldern komplett im Dunkeln. Die grössten Erfolge der EZA sind oft stark wissenschaftlichen Ansätzen geschuldet (z.B. die grossen Fortschritte in der Malariaprävention, HIV-Behandlung oder Pocken-Eradikation), während bekannte Misserfolge praktisch immer auf unwissenschaftlichen Ansichten beruhen (vom PEPFAR-Abstinenzprogramm bis zu PlayPumps). Das Unheil entsteht also vor allem durch unwissenschaftliches Vorgehen (und manchmal vielleicht auch durch eine offensichtlich schlechte Anwendung der wissenschaftlichen Methode).

      Etwas zur Wissenschaflichkeit habe ich weiter oben auch ausgeführt. Wie dort gesagt, plädieren wir vor allem für mehr Sorgfalt bei Definition der Grundannahmen, und dann auch bei der Interpretation allenfalls begrenzt brauchbarer Ergebnisse, die keine Verallgemeinerung rechtfertigen.
      Die medizinischen Beispiele, die Sie nennen, sind in der Tat beeindruckend. Sie sind aber nicht Entwicklungshilfe, wie wir sie verstehen, sondern Seuchenprävention im Interesse aller. Zu PEPFAR und PlayPumps kann ich hier nichts sagen, ich habe mich nicht damit auseinandergesetzt.

      Ich finde es toll, dass Sie eine kritische Perspektive auf die EZA fördern, und insbesondere mehr Transparenz fordern. Ich bin jedoch irritiert ob der wissenschaftsfeindlichen Grundhaltung. Sollte das nicht genau Ihrem Wunsch nach besseren Evaluationen, universellen Standards und mehr Transparenz entsprechen?

      Von wissenschaftsfeindlich kann nicht die Rede sein, wie Sie spätestens jetzt gesehen haben dürften. Bessere Evaluationen wären wünschenswert, noch mehr eine empathischere Auseinandersetzung mit der Entwicklungsproblematik auch in der öffentlichen Debatte- wofür mehr Transparenz eben erst eine Voraussetzung ist.

      Herzlichen Dank im übrigen für Ihre freundliche Sicht auf unsere Arbeit!

      wir können gern in Kontakt bleiben, für grösseren Schriftwechsel fehlt mir leider die Zeit.

      freundliche Grüsse
      Jan Stiefel

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